Irland: Zwischen Hoffnung und Zerreißprobe
- Rugby-News Team
- 30. Apr.
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Für die deutsche Siebener-Nationalmannschaft geht es am Wochenende in Los Angeles um nicht weniger als den Platz auf der größten Bühne des Sports: der HSBC SVNS Series. Die Gruppenauslosung beschert Deutschland drei Gegner, die jeweils auf ihre Weise Respekt verdienen: Uruguay, Irland und Kanada. Drei Rugbykulturen, drei Spielstile, drei Prüfsteine, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Wer die Szene verfolgt, weiß um die Geschichten, die diese Mannschaften prägen – von Aufbrüchen, Rückschlägen und unerschütterlichem Kampfgeist. Es wird ein Wochenende der Entscheidungen – und die Hoffnung reist mit, dass auch die deutschen Farben am Ende in der Weltelite wehen.

Kaum ein Team verkörpert die Schwankungen im internationalen Siebener-Rugby derzeit so eindrucksvoll wie die irische Nationalmannschaft. Noch vor wenigen Jahren galten die Irish Sevens als eine der aufregendsten Neuentdeckungen der Weltserie. Heute, am Vorabend des entscheidenden Play-off-Turniers in Los Angeles, kämpfen sie nicht um Medaillen, sondern um ihre sportliche Existenz in der HSBC SVNS Series.
Irlands Stärken liegen nach wie vor offen zutage. Die Mannschaft verbindet technisches Raffinement, hohes Spieltempo und eine bemerkenswerte Eingespieltheit. Spieler wie Terry Kennedy – einst als "Sevens Player of the Year" ausgezeichnet – und der pfeilschnelle Jordan Conroy prägen eine offensive Ausrichtung, die ihresgleichen sucht. Charakteristisch ist das schnelle, präzise Passspiel, das den Gegner in permanente Bewegung zwingt. Mit geschickten Laufwegen und ausgeprägtem Raumgefühl reißen die Iren Lücken in die Verteidigungslinien selbst gestandener Top-Nationen. So war es kein Zufall, dass Irland 2022 die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Kapstadt gewann und im selben Jahr zwei Vize-Turniersiege auf der World Series feiern konnte.
Diese offensive Klasse machte Irland zu einem der attraktivsten Teams auf internationalem Parkett. Gerade im Frühjahr 2024, als sie in Los Angeles das "Bronze Final" gewannen und in Hongkong immerhin den siebten Platz belegten, deuteten die Männer in Grün ihr großes Potenzial nochmals an. Gelingt es ihnen, ihr Spiel in Fluss zu bringen, zählen sie nach wie vor zu den gefährlichsten Angriffsformationen der Welt.
Doch der Glanz der erfolgreichen Jahre ist verblasst. Die Saison 2024/25 verlief für Irland enttäuschend. Statt um Turniersiege zu spielen, rangierte die Mannschaft zumeist am Ende der Tabelle und schloss die reguläre Saison auf Rang 11 von 12 ab. Besonders auffällig: Gegen physisch dominante Gegner fehlt es den Iren an Durchschlagskraft. Während sie über enorme Geschwindigkeit verfügen, mangelt es mitunter an Wucht im direkten Kontakt. Auch in Drucksituationen offenbaren sich Schwächen: Defensivabstimmungen greifen nicht immer zuverlässig, Ballverluste in entscheidenden Phasen besiegelten mehr als einmal bittere Niederlagen.
Hinzu kommt eine wachsende Unruhe abseits des Feldes. Der irische Rugby-Verband hinterfragt zunehmend die Wirtschaftlichkeit des kostspieligen Siebenerprogramms – ein Umstand, der die Spieler mental belastet. Das Wissen um eine ungewisse Zukunft lastet schwer, zumal der Druck, den Verbleib in der Weltserie zu sichern, gewaltig ist. Anders als noch 2022, als Irland eine nationale Aufbruchsstimmung entfachte, herrscht nun Anspannung und Skepsis.
Verantwortlich für die Entwicklung der vergangenen Jahre ist James Topping, ein ehemaliger Nationalspieler, der seit 2018 das Team betreut. Topping gilt als Architekt des irischen 7er-Programms, das 2015 neu aufgestellt wurde. Unter seiner Führung gelang zweimal die Qualifikation für die Olympischen Spiele – 2020 für Tokio und 2024 für Paris. Seine Philosophie basiert auf mutigem Angriffsrugby und einer herausragenden physischen Fitness, unterstützt von Fachkräften wie dem renommierten Fitnesscoach Allan Temple-Jones. Trotz der aktuellen Krise genießt Topping noch Rückhalt im Verband – ein Vertrauensbeweis in seine Aufbauarbeit, aber auch ein Auftrag, die Wende einzuleiten.
Die Bilanz der letzten drei Jahre liest sich entsprechend wechselhaft. Nach dem Triumph von Kapstadt 2022 und der erfolgreichen Olympia-Qualifikation 2023 folgte ein respektabler sechster Platz in Paris 2024. Doch die Saison 2024/25 offenbarte schmerzlich die Grenzen des irischen Modells: Verletzungen, Formschwächen und ein gestiegener Konkurrenzdruck ließen das Team ins Hintertreffen geraten. Nun steht erstmals seit dem Aufstieg ins Core-Team der Weltserie 2019 der Abstieg im Raum.
Trotz aller Probleme bleibt Irlands Spielstil faszinierend. Das Team bevorzugt ein dynamisches Angriffsspiel, geprägt von weiträumigen Pässen, schnellen Richtungswechseln und einer intensiven Nutzung der Feldbreite. Besonders die Flügelspieler, allen voran Conroy und Gavin Mullin, sorgen immer wieder für Momente höchster Gefahr. Im Zentrum orchestrieren Spielmacher wie Mark Roche oder Terry Kennedy das Geschehen mit präzisem Timing und technischer Brillanz. Die Verteidigung, einst ein Prunkstück des Teams, leidet derzeit unter kleinen, aber folgenschweren Abstimmungsproblemen – ein Manko, das sich gegen die robusteren Nationen schmerzhaft offenbart.
Irland geht in Los Angeles einen schmalen Grat: zwischen Erinnerung an bessere Tage und der Notwendigkeit, sich in der Gegenwart zu behaupten. Die offensive Wucht, das technische Können und die Erfahrung sind vorhanden. Doch ob daraus die Kraft erwächst, in der rauen Wirklichkeit des Relegationsturniers zu bestehen, wird sich erst zeigen müssen.
Einschätzung von Nationaltrainer Clemens von Grumbkow:
„Irland war über die letzten Jahre eine sehr starke Mannschaft. In diesem Jahr gab es jedoch einen Umbruch: Viele erfahrene Spieler haben aufgehört, und damit sind sie ein Stück weit von der absoluten Spitze abgerückt. Trotzdem bauen sie gerade ein neues, sehr gutes Team auf – strukturiert, defensivstark, mit guten Standards. Auf jeden Fall ein ernstzunehmender Gegner.“
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