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Vom Lindener Berg bis Samoa – Jörn Schröders-Weg durch das deutsche Rugby

  • Rugby-News Team
  • 21. Apr.
  • 15 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Apr.

Über zwei Stunden haben wir mit Jörn Schröder gesprochen – über Jugendtraining auf dem Lindener Berg, sein Debüt in der Nationalmannschaft, Meistertitel mit Pforzheim, Länderspiele auf Kuhweiden und in Kenia. Im ersten Teil unseres großen Interviews geht es um den Aufstieg des deutschen Rugbys, persönliche Höhen und Rückschläge – und das abrupte Ende der Wild Rugby Academy.


Ersten Schritte mit dem Rugbyball


Rugby News: Jörn, lass uns ganz an den Anfang deiner Rugby-Karriere zurückgehen. Du kommst aus Hannover. Wie bist du eigentlich zum Rugby gekommen?


Jörn Schröder: Wie jedes Kind in Deutschland habe ich mit Fußball angefangen. Mit sechs Jahren beim SV Linden 07 auf dem Lindener Berg, wo früher sogar Länderspiele ausgetragen wurden, wie ich später erfahren habe.


 Mein Cousin hat mir dann 2004 Freikarten besorgt für das Länderspiel Deutschland gegen Schweden in Hannover. Mein Vater, der früher bei 97 Linden und dann bei Viktoria Linden gespielt hat, meinte: "Lass mal hingehen." Bundesliga hat er gespielt, erste Reihe. Dann sind mein Vater, mein Bruder und ich zu dem Spiel gegangen. Mein Vater hat direkt alte Bekannte wiedergetroffen.


Mein Bruder war begeistert und auch ich wollte sofort spielen. Mein Vater meinte, geh zu Viktoria. Und so fing alles an.


Rugby News: Und du hast anfangs Fußball gespielt?


Jörn Schröder: Genau. Ich habe erst Fußball weitergespielt und bin dann manchmal nach dem Training bei Viktoria vorbeigefahren. Fand das Training da spannend. Dann habe ich 2004 als C-Schüler angefangen, damals hieß das noch so.



Rugby News: Welche Position hast du gespielt?


Jörn Schröder: In der Jugend spielst du alles. Ich war schon groß für mein Alter, also meistens zweite Reihe. Später bei Viktoria Linden, als ich in die Herrenmannschaft kam, habe ich alles gespielt: zweite, dritte und erste Reihe. In der U-Nationalmannschaft auch hauptsächlich zweite Reihe.


 Als ich zu Hannover 78 gewechselt bin, hat mich Carsten Segert im ersten Spiel auf die zweite und im zweiten auf die erste Reihe gestellt. Seitdem spiele ich erste Reihe.


Aber ich hatte nie eine richtige Ausbildung auf der ersten Reihe. Erst unter Kobus Potgieter habe ich wirklich gelernt, was es heißt, diese Position zu spielen. Er ist mein Trainermentor in allem gewesen damals. Ohne den hätte ich nicht erreicht, was ich heute erreicht habe.


Rugby News: Der Wechsel zu Hannover 78 war also auch ein sportlicher Schritt für dich?


Jörn Schröder: Ja, total. Ich wollte Bundesliga spielen. Ich war ehrgeizig. Wir hatten diese goldene Generation: Timo Vollenkemper, Sami Füchsel, Tim Menzel, Julius Nostadt, Basti van der Bosch, Sam Rainger. Ich wollte dabei sein.


Dann bin ich zu Hannover 78 gewechselt. Ich hatte meinen ersten Bundesligaeinsatz in der zweiten Reihe, den zweiten auf erster Reihe. Da hatte ich zum Glück Benni Krause als Orientierung. Zwei Jahre war ich dort. 2013 ging es nach Pforzheim.


Neuanfang in Pforzheim, Titelträume und Debüt im Adlertrikot


Rugby News: Wie kam der Wechsel zustande?


Jörn Schröder: Über David Schulz, der auch von Viktoria nach Pforzheim gewechselt ist. Ich wollte höher Rugby spielen. Es gab Anfragen aus Frankreich, sogar aus Nizza. Aber ich hatte niemanden, der mir da half oder mir Mut machte. Heute sage ich meinen Spielern: Wenn ihr Bock habt, geht ins Ausland. Ich hatte das nicht. Ich bin dann 2013 nach Pforzheim. Es war nie mein Plan, Hannover zu verlassen, aber ich habe es gemacht.


Rugby News: Warst du da schon Profi?


Jörn Schröder: Das erste Jahr habe ich noch als Anlagenmechaniker gearbeitet, nebenbei Rugby gespielt. Mein Ziel war die Nationalmannschaft. In Heidelberg wurde montags trainiert. Pforzheim war nah dran. Leider konnte ich nicht immer montags zum Training, weil ich arbeiten musste, aber das war mein Ziel.


Rugby News: Wie war das sportlich in Pforzheim?


Jörn Schröder: Multikulti-Club. Viele Spieler aus dem Ausland, aber nur zwei, drei wirklich gute. Jeremy Te Huia, Tim Kasten oder Mustafa Güngör waren stark.


2014 war dann mein erstes Finale, obwohl ich die ganze Saison auf erster Reihe gespielt hatte, wurde ich im Finale auf die zweite Reihe gestellt. Das war eine Umstellung. Danach hatte ich das Gefühl, ich wurde nicht besser.


Und dann kam im März 2015 die Verletzung: hinteres Kreuzband gerissen, Keilruptur, Meniskus kaputt. Aber manchmal hilft dir eine Verletzung, so blöd wie es klingt, ein bisschen nachzudenken. Ich habe mit dem Verein gesprochen, als Schulkoordinator gearbeitet, war an Schulen unterwegs. Nicht für viel Geld, aber ich konnte regelmäßig trainieren, ins Fitnessstudio gehen, montags zur Nationalmannschaft. Das war mir das Wichtigste. Ich habe mich da richtig reingebissen.


Ich hatte ja 2012 mein erstes Länderspiel gegen Moldawien. Das war der 17. November 2012, der 50. Geburtstag meines Vaters. Ich wurde 30 Sekunden vor Schluss eingewechselt. Ich glaube, keine Aktion gehabt. Dann 2013 gegen Schweden nochmal ein paar Minuten.


 Danach war ich zwei Jahre raus, weil ich verletzt war und nie ins Montagstraining konnte. Kobus meinte damals ganz klar: "Wenn du montags nicht ins Training kommst, kannst du nicht spielen."


Rugbynews: Das heißt für dich, das Debüt, was du im Kopf hast, war eigentlich drei Jahre später, mit 23, 2015, die Brasilien Tour?


Jörn Schröder: Genau, 2015 kam dann die Brasilien-Tour und das erste richtige Spiel. In Blumenau haben wir auf einer Kuhweide gespielt, überall Dschungel. Zweites Spiel in Sao Paulo, zwei Stunden Stau, Bus kracht in einen Baum, Scheibe springt. Nur 40 Minuten Aufwärmzeit und trotzdem gewonnen.


Danach kam die Kenia-Tour. Das war vielleicht mein härtestes Länderspiel. In Nairobi auf 1000 Metern gegen brutale, harte Kenianer. Julius hat sich nach 20 Minuten verletzt, ich habe lang gespielt. Wir haben mit einem Top-Kick gewonnen. Das war ein großartiges Gefühl. Solche Touren sind keine Selbstverständlichkeit, das sind Momente, die wirst du für dein Leben nie vergessen.


Rugby News: 2016 dann der nächste Karrierehöhepunkt, du wirst das erste Mal Deutscher Meister – das war sicherlich immer ein Ziel von dir?


Jörn Schröder: Das war schon mein Ziel. Also eigentlich war mein Ziel mal Profi zu werden. Aber da wurde halt nichts draus.


Und dieser Meistertitel, ich muss dir sagen, damals war Pforzheim drei, vier Mal hintereinander Vizemeister. Jede Saison hast du neue Spieler gekriegt. Das war, als wenn so ein Flieger kommt, Australien, Neuseeland, lässt acht Spieler raus und nächsten Sommer werden sie wieder eingesammelt. Und wenn du dir dann denkst, dass dafür dann Geld ausgegeben wurde, für manche die nicht besser als du waren, da warst du schon ein bisschen frustriert.


Und das Finale 2016 hätte ich nie gedacht, dass wir das mit der Mannschaft, die wir damals hatten, gewinnen. Also das war echt phänomenal, obwohl es sonst ein trauriges Finale war, muss man sagen. Es waren 500 Zuschauer in Heusenstamm damals, ich glaube, das war ein heißer Maitag. Der HRK, eigentlich die Übermannschaft, legt nach 14 Sekunden den ersten Versuch. Dann haben wir alles gegeben. Der HRK, die hatten kein Gedränge, keine Gasse, was eigentlich ihre Stärke war, Mauling und alles, das hat halt nicht funktioniert.


Poppy ist früh rausgegangen. Das hat uns schon alles in die Karten gespielt. Und dann haben wir in der letzten Minute – durch unseren Speed Star aus Simbabwe, der hat dann eine Lücke am Ruck gesehen, hat den Ball aufgenommen, ist durchgelaufen. Und dann sind wir Deutscher Meister geworden. Was man da gar nicht realisieren konnte.


Das war unglaublich. Ich hatte nach dem Spiel eine Gehirnerschütterung. Ich musste ins Krankenhaus. Ich bin mit Poppy zusammengekracht, der dann raus musste. Aber ich habe gesagt, ich nehme das in Kauf für die Meisterschaft. Es war schon ein schönes Erlebnis, auch wenn du jetzt nicht unbedingt dieses Teamgefüge hattest, weil du halt jede Saison neue Spieler kriegst.


Rugbynews: Das Teamgefüge Mindset scheint dir enorm wichtig zu sein?


Jörn Schröder: Deutscher Meister und dennoch gab’s natürlich Grüppchenbildung in Pforzheim, aber im Finale waren sie alle deine Freunde, wie es halt so ist. Im Leistungssport funktioniert’s halt nur über ein Team. Das kriegst du im Rugby von klein auf eingeprägt: Team heißt nicht nur auf dem Feld, sondern auch abseits – Kameradschaft im Training, auch wenn du der Beste bist, nimmst du trotzdem Kissen mit oder was auch immer. Du hängst nicht den dicken Lenz raus, sagst nicht: Ich bin der Beste, macht ihr mal. Du gehst vorbildlich voran, behandelst jeden mit Respekt – egal, wer du bist, egal, was du erreicht hast. Mein Mindset war immer professionell. Irgendwann beschäftigst du dich mit Ernährung, mit Training bei mir hat das in der WILD Academy angefangen und du versuchst, immer professioneller zu werden.


Fremd in England, angekommen in Heidelberg – der Weg zur Wild Academy


Rugbynews: Aber davor ging es für dich erstmal ins Ausland?


Jörn Schröder: Ich bin dann Meister geworden und hab gedacht: Was machst du jetzt? Mein Ziel war immer, mal im Ausland zu spielen. Über einen Kontakt kam ich zu Luctonians – vierte Liga in England, Nähe Birmingham. Ich habe ein Video hingeschickt, der Director of Rugby hat sich gemeldet, und wir haben’s dann im Juni fix gemacht.


 Parallel habe ich versucht, mit Kobus zu klären, ob ich zum HRK kann. Ich habe auch mit der Academy gesprochen, ob’s Möglichkeiten in Heidelberg gibt – aber da hieß es: kein Budget. Hinter der Hand habe ich gehört, dass jemand unzufrieden war und nach Pforzheim wollte – Kobus wusste das aber noch nicht. Wir hatten dann noch ein Spiel in La Rochelle, ich war Starter, und drei Tage vor meinem England-Flug kam Robert Mohr auf mich zu und fragte, ob ich nach Heidelberg will – Academy und alles. Ich habe gesagt: Robert, ich habe alles gebucht, ich will’s einfach mal ausprobieren.


Dann bin ich mit zwei Koffern zu den Luctonians. Ich habe da regelmäßig Rugby gespielt, zweimal Gym, zweimal Training, Spiel am Wochenende. Es war hartes Rugby, aber ich komm aus Hannover – halbe Million Leute – und das da war halt Farmersland an der walisischen Grenze. Ich habe mich da nicht wohl gefühlt, es war okay, aber irgendwas hat gefehlt.


 Mitte Oktober kam dann eine E-Mail von Kobus: Ob ich zurückkommen will, zur Academy, angestellt werden und so. Ich habe eine Nacht drüber geschlafen und gesagt: Ja, können wir machen. Es fiel mir nicht schwer, weil ich da nicht happy war. Und dann bin ich Ende Oktober zurück zum HRK.





Rugby auf höchstem Niveau – Erfolge mit dem HRK und im Nationaltrikot


Rugbynews: Du warst dann bei der Wild Academy als Trainer oder Spieler angestellt?


Jörn Schröder: Als Trainer angestellt. Mit dem HRK haben wir danach alles in der Bundesliga gewonnen auch in Berlin, obwohl es hart war. Dann die nächsten Länderspiele gegen Uruguay. Da habe ich 20 Minuten gespielt bei diesem historischen Sieg. Das war im FSV Frankfurt Stadion, riesiger Erfolg damals – das erste Mal, dass Deutschland gegen so eine Nation gewonnen hat. Danach haben wir zweimal gegen Brasilien gespielt, einmal in Heidelberg und einmal in Leipzig. Das war Ende 2016.


Rugbynews: Wie hast du die Zeit ab Ende 2016 als Spieler erlebt? Für viele war das eine Phase, in der Rugby in Deutschland wirklich gewachsen ist – es gab Fernsehübertragungen, große Siege, fast eine WM-Qualifikation. Im Rückblick: Was war das für eine Zeit für dich?


Jörn Schröder: Ja, es war schon cool, als es dann wirklich im Fernsehen lief. Das war schon was Besonderes. Man braucht diese Aufmerksamkeit, um das zu erreichen, was damals das Ziel von der Academy und der Nationalmannschaft war – dass man alles professioneller angeht. Dass man nicht bei der RGH im Wohnzimmer spielt, sondern wirklich in Stadien. Das gibt dir auch so einen Schub, wo du denkst: Okay, ich muss halt Gas geben, ich muss ans Limit gehen, denn du willst ja die Zuschauer mitreißen.


Rugby News: War euch damals bewusst, dass ihr wirklich die deutsche Rugby-Community begeistert habt?


Jörn Schröder: Ja, schon. Du warst halt präsent in den Medien, hast Autogramme gegeben – was du eigentlich gar nicht kanntest. Es war cool, aber auch irgendwie komisch. Ich meine, als ich 2012 angefangen hab, da kannte ich sowas gar nicht. Mein Debüt damals war gegen Moldawien an einem kalten Novembertag, da waren vielleicht 1.000 Zuschauer da – wenn’s hochkommt.


Rugbynews: Und dann kam dieser Umschwung – Siege gegen Uruguay und Brasilien, Rumänien wurde geschlagen...


Jörn Schröder: Genau. 2016 kam dann Uruguay – dieser große Sieg damals. Danach haben wir zweimal Brasilien geschlagen. Und 2017 war dann dieses REC, wo wir uns im Raum beim HRK hingesetzt haben und gesagt haben: Unser Ziel ist, Rumänien zu schlagen.


Rugbynews: Und dieses Ziel habt ihr erreicht.


Jörn Schröder: Ja, das Spiel in Offenbach – das haben wir dann gewonnen. Ich war 80 Minuten auf der Bank, bin nicht reingekommen, aber wir hatten ein mega gutes Gedränge damals. Damien Tussac (damals Profi bei Montauban) hat 80 Minuten durchgespielt. Und das war ein stärkeres Rumänien als heute, das muss man ganz klar sagen.


Rugbynews: Wie sah eure Vorbereitung auf solche Spiele aus?


Jörn Schröder: Top professionell. Jeder Spieler wurde analysiert, ausgedruckt – Stärken, Spielweise, Alter – alles hing neben dem Essensraum beim HRK. Wir hatten eine eigene Player Lounge mit Kicker, Playstation – da wurde richtig wert draufgelegt. Das war Profi-Niveau.


Rugbynews: Würdest du sagen, der HRK war damals im Grunde die Nationalmannschaft?


Jörn Schröder: Ja, auf jeden Fall. Damals hast du Jaco Otto und so geholt – ein assi guter Spieler, der dann für Deutschland spielen konnte. Spieler wie Sean Armstrong, Jarrid Els oder Poppmeier neben dir gehabt. Dazu kamen einige Frankreich Legionäre, das war halt die Nationalmannschaft komplett. Ob das alles optimal war, weiß ich nicht. Aber es war so.


Rugbynews: Nach dem Sieg gegen Rumänien – ein echtes Ausrufezeichen im europäischen Rugby – wie ging es für euch weiter? Hattet ihr Zeit, diesen Moment zu feiern, oder war der Fokus direkt wieder da?


Jörn Schröder: Wir waren feiern – Irish Pub, Dublin, später noch O’Reilly, da gab’s überall Free Drinks. Also da wurde gut gefeiert. Aber montags hat der Kobus gleich gesagt: „Jungs, bewegt euch, wir müssen alles wieder rauskriegen.“ Wir haben am Wochenende danach gleich gegen Georgien gespielt – und dann aber auch direkt 50 Dinger gekriegt. Da hat Robert Mohr was gesagt, was mich wirklich geprägt hat. Er meinte: „Wir können nicht gegen Rumänien gewinnen und dann 50 Punkte von Georgien kriegen.“ Und das stimmt ja auch – du musst jede Woche wieder liefern.


Rugbynews: Das ist der Unterschied zum Amateursport: jede Woche beginnt bei null.


Jörn Schröder: Genau. Nur weil du ein Spiel gewinnst, heißt das nicht, dass du jetzt Pause machen darfst. Das gilt auch in der Bundesliga. Du bist immer nur so gut wie dein letztes Spiel. Das ist halt der Fluch und der Segen – du kannst ein Riesenspiel machen, wirst gefeiert, aber spielst du eine Woche später schlecht, sagen dir dieselben Leute, wie schlecht du bist.


Rugbynews: Trotzdem war 2017/18 ja ein wichtiges Jahr – auch für die WM-Qualifikation. Hattet ihr das damals schon klar im Blick?


Jörn Schröder: Die Weltmeisterschaft war schon das Ziel. Das hat direkt gezählt für die Quali – dieses 17/18. Aber ich habe das erst später so richtig realisiert. Es ging einfach Schlag auf Schlag, gerade im REC – drei Spiele in kurzer Zeit. Da hast du an World Cup gar nicht gedacht, du hast einfach von Länderspiel zu Länderspiel gelebt.




Der Streik und der Bruch mit dem Verband:


Rugbynews: Dann kam der große Bruch – der Konflikt zwischen der Academy, dem Verband und Dr. Wild. Was war deine Sicht auf diesen Streit und eurem Streik?


Jörn Schröder: Das war einfach politisch. Zwischen Deutschland Rugby und Dr. Wild gab es persönliche Konflikte. Die Academy wollte mehr Unterstützung vom Verband, aber das wurde nicht geliefert. Dann hieß es von Wild: Wenn ihr spielt, seid ihr raus. Und so kam dieser Streik zustande. Wir wurden von den Kapitänen geführt, da warst du als junger Spieler einfach dabei. Du hast gemacht, was die anderen gemacht haben.


Rugbynews: Du hast es also nicht als eigenen Entschluss erlebt?


Jörn Schröder: Im Nachhinein hätte ich lieber gespielt – ganz ehrlich. Aber da war dieser Teamzusammenhalt so stark, das war unvorstellbar. 2017 im Sommer – das war ein Kader von 27 Spielern, der so tight war, da kam keiner rein. Das Team war wie ein Block. Du bist da reingewachsen, wurdest getragen. Aber im Nachhinein ja, es war hart zu sehen, wie das Team danach verloren hat, Spiel um Spiel.


Continental Shield – Mit dem HRK auf Europas Bühne


Rugbynews: Du hast mit dem HRK in dieser Zeit auch Geschichte geschrieben: Ihr habt euch sportlich für den European Challenge Cup qualifiziert. Was war das für eine Phase?


Jörn Schröder: Das war mit das Härteste, was ich sportlich je erlebt habe. Wir hatten im Sommer eine Preseason, die brutal war. Wir hatten einen Fitnesstrainer und Kobus als Headcoach, die haben uns krank gequält. Aber genau das hat uns auf das Niveau gebracht, das wir gebraucht haben.


Rugbynews: Wie lief der Wettbewerb für euch ab?


Jörn Schröder: Wir sind erfolgreich in den Continental Shield gestartet. Erst haben wir Calvisano geschlagen – zweimal, auswärts und zuhause. Dann haben wir gegen Batumi verloren, aber danach gegen Teams wie Petrarca und andere wieder gewonnen. Die Spiele waren auf richtig hohem Niveau, das war europäischer Top-Amateur-Standard, kurz vorm Profi.


Rugbynews: Wie ging es dann weiter in der K.o.-Phase?


Jörn Schröder: Im Halbfinale haben wir auswärts gegen Timișoara Saracens in Rumänien gespielt – das Spiel haben wir knapp verloren. Zwei Wochen später hatten wir das Rückspiel in Heidelberg. Da haben wir dann alles klar gemacht und uns sportlich für den European Challenge Cup qualifiziert. Das war ein Riesending für uns. Das hat noch nie ein deutsches Vereinsteam geschafft.


Rugbynews: War das für dich persönlich ein Meilenstein?


Jörn Schröder: Auf jeden Fall. Ich weiß manchmal selbst nicht, was größer war – Rumänien mit dem Nationalteam schlagen oder mit dem HRK in einen echten Europapokal einzuziehen. Das war mein Traum: Profi werden. Hat aus verschiedenen Gründen nicht ganz geklappt – aber mit einem deutschen Verein gegen europäische Topteams zu spielen, das war das nächste Level.


Rugbynews: Wie war das Finale in Bilbao?


Jörn Schröder: Das war unglaublich. Wir haben vorher im kleinen Stadion gespielt. Wir haben das Finale gegen ein Team aus Russland (Enesei) knapp verloren, aber allein dieses Erlebnis – ein deutsches Team in einem europäischen Finale – war Wahnsinn. Wir waren sogar eingeladen das Champions Cup Finale live zu sehen, ich glaube Leinster gegen Racing. Du sitzt da und merkst: Du bist ganz nah dran. Es war surreal.


Ein abruptes Ende


Rugbynews: Und dann auf einmal alles für die Katz? Wie habt ihr damals erfahren, dass das Projekt rund um die Academy endet?


Jörn Schröder: Das kam direkt nach dem Bundesliga-Finale gegen die RGH. Am Montag kam die Nachricht von Kobus in die Gruppe: „Kommt um 12 Uhr zur Academy, zur Villa im Philosophenweg.“ Viele haben da schon gesagt: Das war’s. Und genau so war’s dann auch.


Rugbynews: Wurde euch das direkt so kommuniziert?


Jörn Schröder: Ja, es hieß: Dr. Wild macht nicht weiter, weil er keinen Sinn mehr sieht, im deutschen Rugby Geld zu investieren. Es wurden dann Aufhebungsverträge vorbereitet. Ein Anwalt kam und ist mit jedem Spieler durchgegangen. Aber für alle war klar: Das Projekt ist vorbei.


Rugbynews: Gab es Anzeichen im Vorfeld?


Jörn Schröder: Ja, ehrlich gesagt schon. Im Mai 2018, noch während der Phase rund ums Continental Shield, hat sich das abgezeichnet. Es wurde unter uns Spielern schon gemunkelt, dass es da einen Interessenskonflikt geben könnte. Dr. Wild hatte parallel Stade Français übernommen – ein echtes Profi-Team in Frankreich. Und dann hieß es plötzlich: „Er will sich voll auf Paris konzentrieren.“ Natürlich war das ein krasser Kontrast. Wir waren noch in Bilbao beim Finale, haben knapp verloren, und eine Woche später hieß es dann: Das war’s.


Rugbynews:

Also wurde das Projekt durch den Fokus auf Stade Français geopfert?


Jörn Schröder:

So hat sich das für viele von uns angefühlt. Vor dem Finale hat er uns noch geschrieben, dass er uns weiterhin unterstützen wird. Eine Woche später stehen wir in der Villa, und da wird gesagt: „Es geht nicht weiter.“ Für viele war das einfach bitter – du warst so nah dran am professionellen Rugby, und dann stehst du plötzlich ohne alles da.



Noch einmal alles geben – Jörn Schröder und der Kampf um Japan 2019


Rugbynews: Trotzdem hattet ihr dann noch die Möglichkeit, euch über das Repechage-Verfahren zu qualifizieren, oder?


Jörn Schröder: Genau. Spanien, Russland, Belgien – die wurden alle disqualifiziert. Plötzlich waren wir wieder im Rennen. Wir haben dann im Sommer gegen Portugal gespielt – ein richtig beschissenes Spiel, weil du gemerkt hast, dass alle im Kopf durch waren. Aber wir haben gewonnen. Und dann hieß es: Eine Woche später nach Samoa.


Rugbynews: Wie war das für dich – Samoa, die andere Seite der Welt?


Jörn Schröder: Du spielst mit Deutschland gegen Samoa – das ist unglaublich. Wir sind Freitag los: Frankfurt–Katar, dann der längste Flug meines Lebens – 15 Stunden nach Auckland. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Dann noch mal zwei Stunden nach Apia. 36 Stunden unterwegs, voll im Jetlag, völlig durch.



Rugbynews: Und dann dort im Stadion zu stehen?


Jörn Schröder: Das war ein Riesenerlebnis. Mein Bruder hat nachts um drei Livestream geschaut. Die Leute dort – unglaublich freundlich, immer am Lächeln, bodenständig. Und dann machen die ihren Tanz vor dem Spiel – das ist einfach besonders. Klar waren wir Underdog, aber es war ein Traum, dabei zu sein.


Rugbynews: Ihr seid dann zurückgeflogen und habt das Rückspiel in Heidelberg gespielt.


Jörn Schröder: Genau. Ich glaube, wir haben sogar geführt, 22:21. Dann haben sie in den letzten 10 Minuten noch drei Versuche gelegt. Aber auch da: Wir hatten nie den Spielerpool. Es gab Jungs, die hast du nie wieder gesehen. Du hattest keine 23 Top-Spieler auf dem Zettel – das hat einfach gefehlt.


Rugbynews: Trotz allem: Ihr hattet noch eine Chance – das Repechage Turnier in Marseille. Wie habt ihr das erlebt?


Jörn Schröder: Es wurde plötzlich wieder gesprochen. Und zum ersten Mal haben wir Verträge vom Verband bekommen – finanziert von Dr. Wild. Ich war von September bis Dezember beim DRV angestellt. Mike Ford war Headcoach, und es war eine richtig knüppelharte Vorbereitung. Wir haben viel trainiert, ein Testspiel gemacht.


Rugbynews: Wie war das Turnier selbst?


Jörn Schröder: Das war verrückt. Wir sind mit einem klaren Ziel hingefahren. Wir hatten das Gefühl: Es ist möglich. Erstes Spiel gegen Hongkong – gewonnen. Dann gegen Kanada – das war wie ein vorgezogenes Finale. Wir haben stark verteidigt, Mike Ford hat uns das Gefühl gegeben, dass wir die schlagen können. Aber am Ende war der Unterschied da: Das sind Profis, die jede Woche spielen. Die haben dann auch in der zweiten Halbzeit das Ding zugemacht.


Rugbynews: Und trotzdem noch ein versöhnlicher Abschluss gegen Kenia.


Jörn Schröder: Ja, gegen Kenia haben wir sie noch mal richtig weggepackt. Nach dem Kanada-Spiel war ich enttäuscht, traurig – Kobus hat mich umarmt und gesagt: „Du bist noch jung genug.“ Aber ich wusste, wenn wir das Ding nicht schaffen, ist es vorbei.


Rugbynews: Wenn du heute zurückschaust – war das deine intensivste Zeit als Nationalspieler?


Jörn Schröder: Ich habe keinen Top-1-Moment. Rumänien war riesig, Samoa war unglaublich, Kanada im Repechage – das war alles groß. Du spielst gegen Nationen, die du sonst nur aus dem World Cup kennst. Es war eine intensive Reise.


Rugbynews: Bist du im Nachhinein wütend, dass politische Konflikte so viel zerstört haben?


Jörn Schröder: Klar, du bist enttäuscht. Aber Kobus hat immer gesagt: „Kontrolliere das, was du selbst kontrollieren kannst.“ Und ich konnte nur mich kontrollieren. Ob ich da jetzt einen Brief schreibe, dass sie sich vertragen sollen – das bringt doch nichts. Du akzeptierst es irgendwann.


Rugbynews: Und danach – wie ging es für dich persönlich weiter?


Jörn Schröder: Dann war auslaufen. Dann hast du beim HRK noch deine Spiele gemacht, und dann hieß es: Ich muss mir erstmal wieder einen neuen Job suchen.


Rugbynews: Also zurück in den Alltag – war das der Moment, in dem du wieder als Anlagenbauer gearbeitet hast?


Jörn Schröder: Ja, genau…

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