Der ScoreBonus – Warum die Zukunft des deutschen Rugbys in der Nachwuchsarbeit liegt
- Branimir Niko Colic
- vor 2 Tagen
- 13 Min. Lesezeit
Ein Gastbeitrag von Branimir Niko Colic, Vorsitzender RBA

Ein kritischer Blick auf den Status Quo
Die Rugby Bundesliga steht sinnbildlich für das strukturelle Dilemma des deutschen Rugbysports: Während einige wenige Vereine mit dem gezielten Zukauf internationaler Spieler um die Meisterschaft spielen, bleibt die nachhaltige Nachwuchsentwicklung in vielen Regionen ein Randthema oder findet gar nicht statt.
Nur ein kleiner Teil der Bundesliga-Spieler stammt aus kontinuierlicher, langfristiger Nachwuchsarbeit. Der Großteil rekrutiert sich aus Quereinsteigern, Späteinsteigern (ab 15 Jahren), Zugewanderten, Touristen mit Spielgenehmigung auf Zeit und nicht zuletzt aus gezielt eingeflogenen Profis. Diese Spieler bringen oft Qualität mit, aber keine Perspektive. Denn es fehlt an einer breiten Basis von Kindern und Jugendlichen, die in deutschen Vereinen das Spiel erlernen, durch alle Altersklassen hindurch ausgebildet werden und später das Rückgrat von Vereinen und Nationalmannschaft bilden könnten.
In einer solchen Struktur dominieren kurzfristige Lösungen: Meisterschaften lassen sich einkaufen, nachhaltige Jugendarbeit gilt als Luxus. Das Problem liegt auf der Hand: Wer auf schnelle Erfolge setzt, investiert nicht in langfristige Grundlagen. Und wer keine Grundlagen schafft, hat auch keine Zukunft.
Dabei sind die Herausforderungen vielfältig: mangelnde Trainerressourcen, zu wenig qualifizierte Ausbildungsmöglichkeiten, fehlendes Know-how. Das überrascht kaum, wenn langfristig ausgebildete Spieler fehlen, die ihr Wissen weitergeben könnten. Auch die bisherige Verankerung der Nachwuchsarbeit in den Lizenzbedingungen der Bundesliga hat nicht den gewünschten Effekt erzielt. Zwar existieren formale Anforderungen, doch sportliche Anreize zur echten Umsetzung fehlten bislang.
Die Folgen sind unübersehbar:
Große Leistungsunterschiede in der Bundesliga, weil nur wenige Vereine nachhaltig arbeiten.
Jährliche Fluktuationen im Leistungsniveau einzelner Teams, abhängig von Zu- oder Abgang einzelner Schlüsselspieler.
Ein kleiner Spielerpool auf Bundesebene, bei dem sich 15er- und 7er-Nationalmannschaft personell gegenseitig schwächen.
Ein kaum funktionierender Übergang von U18 zu Herren, weil Spielangebote in U16 und U18 rar sind, die Ligen instabil und die Bundesliga wenig Anreize für junge Talente bietet.
Geringe Trainingsqualität, große Unterschiede zwischen den Standorten, was die Sichtung und Talentförderung auf Verbandsebene erschwert.
Diese Defizite gefährden nicht nur sportlichen Erfolg, sie bedrohen auf lange Sicht die gesamte Struktur des deutschen Rugbys. Ohne gezielte Nachwuchsarbeit ist keine stabile Nationalmannschaft, keine konkurrenzfähige Liga und keine wachsende Vereinslandschaft denkbar.
Hinzu kommt: Die Rugby-Bundesliga wurde jüngst umstrukturiert, mit dem erklärten Ziel, durch neue Spielformen und veränderte Ligenstrukturen mehr Konkurrenz um die Plätze zu schaffen. Doch wer glaubt, dass eine rein organisatorische Reform auf dem Papier ausreicht, um die Entwicklung des deutschen Rugbys nachhaltig voranzubringen, wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Ohne strukturelle Maßnahmen jenseits des Spielfelds wird sich der nationale Spielbetrieb in fünf Jahren in einer noch desolateren Lage wiederfinden. Deshalb gilt es jetzt, strategische Weichen zu stellen, die einem weiteren Verfall entgegenwirken. Es gibt viele mögliche Ansatzpunkte, die gezielt bearbeitet und bereits von engagierten Akteuren bespielt werden. Einer der zentralen ist die mangelnde Nachwuchsarbeit, mit der sich diese Kolumne eingehend beschäftigt.
Der ScoreBonus als notwendiger Impuls
Der ScoreBonus ist keine Einschränkung, sondern ein Impuls. Ein Korrektiv für ein System, das sich zu lange auf kurzfristige Lösungen verlassen hat. Er setzt dort an, wo der deutsche Rugbysport am dringendsten Stabilität braucht: bei der Ausbildung junger Spieler in unseren Vereinen.
1. Standard in vielen Leistungsligen weltweit
Deutschland ist mit dem ScoreBonus keineswegs ein Sonderfall. Vergleichbare Regelungen zur Förderung einheimischer Spieler sind in vielen Ligen längst etabliert, sowohl im Profisport als auch im Amateurbereich. Sie alle folgen dem gleichen Prinzip: Wer selbst ausbildet, wird belohnt. Wer sich dauerhaft auf externe Lösungen verlässt, wird begrenzt.
Fußball (DFL / Bundesliga)Die Bundesliga schreibt eine "Local Player"-Quote vor: Jeder Club muss mindestens acht lokal ausgebildete Spieler im 25er-Kader führen, davon mindestens vier aus dem eigenen Verein. Diese Regelung basiert nicht auf Staatsangehörigkeit, sondern auf dem Ausbildungsweg in Deutschland und wurde auch von der UEFA für internationale Wettbewerbe übernommen. Sie ist ein etabliertes Modell zur Förderung langfristiger Nachwuchsentwicklung.
Basketball-Bundesliga (BBL)In der BBL gilt die 6+6-Regel: Mindestens sechs Spieler im Kader müssen deutsche Staatsbürger sein. Zusätzlich gibt es eine Einsatzpflicht für deutsche U22-Spieler, damit Talente nicht nur auf der Bank sitzen, sondern Spielpraxis erhalten. Darüber hinaus existiert eine Ausbildungsprämie, mit der Clubs finanziell belohnt werden, wenn sie ihren Nachwuchsspielern reale Einsatzzeit geben.
Eishockey (DEL, DEL2, Oberliga)Die DEL schreibt vor, dass mindestens drei U23-Spieler mit deutscher Nationalmannschaftsberechtigung pro Spiel eingesetzt werden müssen. In der DEL2 kommt eine definierte "Local Player"-Quote hinzu: Spieler, die mindestens drei Jahre zwischen dem 12. und 20. Lebensjahr in Deutschland aktiv waren, zählen als lokal ausgebildet. Clubs müssen einen Mindestanteil dieser Spieler im Team haben. Besonders deutlich wird die Förderung einheimischer Spieler in der Oberliga, der höchsten Amateurliga im deutschen Eishockey: Hier gilt eine klare Importbeschränkung, nur vier ausländische Spieler dürfen pro Spiel eingesetzt werden. Ziel ist es, einheimischen Spielern mehr Spielanteile zu geben und systematisch den Nachwuchs an das höhere Leistungsniveau heranzuführen. Damit ist die Oberliga ein aktives Beispiel dafür, wie strukturelle Steuerung auch im Amateurbereich funktioniert.
Frankreich (Top 14 – Rugby / JIFF-System)Die französische Profiliga nutzt das sogenannte JIFF-System (Joueurs Issus des Filières de Formation), das international als Best Practice gilt. Ein Spieler gilt als JIFF, wenn er entweder fünf Jahre im französischen Nachwuchssystem oder drei Jahre vor dem 23. Lebensjahr in einem französischen Club aktiv war. Clubs müssen im Schnitt mindestens 16 JIFF-Spieler pro Spieltag aufbieten. Dieses System wurde eingeführt, um die Nationalmannschaft breiter aufzustellen. Mit Erfolg: Frankreich zählt heute zu den weltbesten Rugbynationen, getragen von einem starken, lokal entwickelten Spielerstamm.
Irland (United Rugby Championship / IRFU-Vorgaben)In Irland gibt es kein Punktesystem, aber eine strikte Steuerung durch den Verband (IRFU). Die vier Provinzmannschaften Leinster, Munster, Ulster und Connacht dürfen nur eine sehr begrenzte Anzahl nicht für Irland spielberechtigter Spieler (NIQ) unter Vertrag nehmen, in der Regel maximal zwei pro Position. Ausländische Verpflichtungen sind nur erlaubt, wenn für eine Position keine national geeignete Alternative existiert. Damit wird sichergestellt, dass junge, irisch qualifizierte Spieler frühzeitig auf hohem Niveau Spielzeit erhalten. Die Provinzen agieren nicht nur als Profiteams, sondern als zentrale Ausbildungszentren für die Nationalmannschaft, eng abgestimmt mit dem Verband.
Diese Modelle zeigen: Die Verbindung zwischen Wettbewerbssystem und Nachwuchsförderung ist in vielen Ländern und Sportarten ein zentraler Baustein sportlicher und struktureller Entwicklung. Der ScoreBonus steht also nicht isoliert da. Er ist Teil eines international etablierten Prinzips: Wer ausbildet, erhält Vorteile.
2. Mehr Wertschätzung für deutsche Jugendspieler und Ausbildung
Ein weiterer, oft unterschätzter Effekt: Durch den ScoreBonus gewinnen junge deutsche Spieler an sportlichem und wirtschaftlichem Wert. Vereine werden stärker um lokal ausgebildete Talente konkurrieren. Das kann dazu führen, dass Spieler erstmals echte Gegenleistungen, etwa Bezahlung, individuelle Förderung oder konkrete Perspektiven für ihr Engagement erhalten. Das wiederum hebt das sportliche Niveau und macht Rugby für Jugendliche attraktiver, besonders in Konkurrenz zu anderen populären Sportarten.
Doch nicht nur die Spieler profitieren: Auch der Stellenwert guter Jugendtrainer steigt spürbar. Wenn der sportliche Erfolg eines Vereins zunehmend davon abhängt, wie effektiv er eigene Talente ausbildet, wird qualifiziertes Trainerpersonal zu einer strategischen Schlüsselressource. Kompetente Ausbilder, die Erfahrung, pädagogisches Geschick und sportliches Know-how vereinen, gewinnen an Bedeutung; nicht nur in der Wahrnehmung, sondern auch in ihrer Rolle innerhalb der Vereine.
Dieser gestiegene Bedarf kann dazu führen, dass die Ausbildung von Trainern professioneller und systematischer betrieben wird; mit mehr Fortbildungsangeboten, besseren Rahmenbedingungen und langfristiger Perspektive. Wer in Deutschland Rugbyspieler ausbildet, braucht Menschen, die nicht nur Spiele coachen, sondern sportliche Karrieren entwickeln. Das hebt das gesamte Ausbildungsniveau im Nachwuchsbereich und schafft ein Umfeld, in dem Talente gedeihen können. In einem System, das auf lokal ausgebildete Spieler angewiesen ist, wird Ausbildung nicht mehr als Nebenschauplatz, sondern als zentrales Element der Vereinsstrategie verstanden.
3. Ein nachhaltiges Konjunkturprogramm für die Nationalmannschaft
Ein solider Unterbau in den Vereinen ist die Grundlage für leistungsstarke U Nationalmannschaften und damit auch für den langfristigen Erfolg des gesamten deutschen Rugbysports. Wenn Kinder und Jugendliche frühzeitig strukturiert trainieren, regelmäßig Spielpraxis sammeln und altersgerecht gefördert werden, entstehen nicht nur bessere Einzelspieler, sondern eingespielte Jahrgänge mit einem gemeinsamen sportlichen Fundament. Dies schafft ideale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nachwuchsnationalmannschaft im 15er- wie im olympischen 7er-Rugby.
Doch der Effekt reicht weit über den Jugendbereich hinaus: Der ScoreBonus ist weit mehr als ein Reforminstrument für die Bundesliga; er ist ein langfristiges Konjunkturprogramm für die Nationalmannschaft. Mit einer größeren Auswahl an lokal ausgebildeten Spielern, besserer technischer und taktischer Grundausbildung sowie stabileren sportlichen Biografien entsteht eine Breite im Spielbetrieb, aus der echte Spitze wachsen kann.
Ein klarer, kontinuierlicher Entwicklungsweg erhöht nicht nur die Qualität der Talente, sondern sorgt auch dafür, dass Spieler ihre Vereinskarriere und den Weg ins Nationalteam nicht mehr als Widerspruch erleben. Statt schwieriger Abwägungen zwischen Clubtreue und Verbandsperspektive eröffnet sich ein harmonischer Förderprozess, bei dem sich individuelle Entwicklung und strukturelles Wachstum wechselseitig verstärken.
Wer heute in den Nachwuchs investiert, schafft die Basis für international konkurrenzfähige Nationalteams von morgen, getragen von Spielern, die nicht nur sportlich überzeugen, sondern sich mit dem Verband, ihrer Herkunft und ihrem Verein identifizieren.
4. Druck auf nachhaltige Strukturen und Belohnung
Der ScoreBonus setzt nicht auf Strafen, sondern auf kluge Anreize und macht gezielte Nachwuchsarbeit zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Vereine, die ihre Jugendarbeit vernachlässigen, spüren die Folgen nicht in Form von Bußgeldern oder Lizenzentzügen, sondern ganz konkret auf dem Platz: Ihnen fehlen die nötigen Punkte im Mannschaftsscore, um sich sportlich frei aufzustellen. Umgekehrt werden Klubs belohnt, die eigene Talente entwickeln, nicht nur mit moralischem Lob, sondern mit messbaren Vorteilen im sportlichen Wettbewerb.
Dabei geht es nicht darum, die Verpflichtung internationaler Spieler grundsätzlich zu verbieten. Vielmehr setzt der ScoreBonus deren Einsatz in ein gesundes Verhältnis zur Qualität der eigenen Ausbildungsarbeit. Wer konsequent in den eigenen Nachwuchs investiert, senkt seinen Score und schafft sich damit bewusst Freiräume: etwa, um punktuell und strategisch erfahrene Spieler von außen einzubinden, ohne dadurch benachteiligt zu werden.
Nachhaltige Ausbildung wird so zu einer echten Ressource, nicht nur für die Zukunft, sondern auch für kurzfristige Flexibilität. Der ScoreBonus belohnt langfristiges Denken mit taktischen Handlungsspielräumen. Er macht Nachwuchsarbeit vergleichbar wichtig wie Taktik, Fitness oder Spielintelligenz und erhebt sie damit zu einem Schlüsselfaktor modernen Vereinsmanagements im Rugby.
5. Kein Raum für das Diskriminierungsargument
Kritiker führen an, der ScoreBonus sei diskriminierend. Doch das Gegenteil ist der Fall: Er bewertet nicht die Herkunft oder Nationalität eines Spielers, sondern ausschließlich dessen Ausbildungsweg fair, objektiv und transparent. Ein Spieler, der mit zwölf Jahren nach Deutschland kommt, hier das Rugbyspiel erlernt und durch die Nachwuchsstrukturen geführt wird, wird genauso positiv berücksichtigt wie ein in Deutschland geborener Spieler. Und umgekehrt gilt: Ein Deutscher, der erst mit 20 Jahren in den Sport einsteigt, erhält keine Sonderstellung. Das System misst nicht am Pass, sondern am Weg, es basiert auf nachweisbarer Leistung und Entwicklung, nicht auf Abstammung, und ist damit im besten Sinne integrativ.
Gerade im Kontext der aktuellen Bundesliga zeigt sich, wie notwendig ein solcher Ansatz ist. Denn viele Teams setzen heute auf Spieler, die aus privaten Gründen nach Deutschland gekommen sind etwa für ein Studium, eine Ausbildung oder aus beruflichen Motiven und die anschließend relativ problemlos in der Bundesliga einsteigen. Diese Spieler sind keine gezielten „Transfers“, sondern Ergebnisse von Zufällen oder äußeren Umständen. Und dennoch übernehmen sie häufig zentrale Rollen in den Mannschaften nicht, weil sie dem Nachwuchssystem entstammen, sondern weil es vielerorts an lokal entwickelten Alternativen mangelt.
Das Problem: Dieser Zuzug ist nicht planbar. Er unterliegt gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren, auf die der Sport keinen Einfluss hat. Dennoch haben sich viele Vereine daran gewöhnt, Jahr für Jahr neue Spieler aus dem In- und Ausland „zugezogen“ zu bekommen und sehen darin ein tragfähiges Modell. Bleibt dieser Zufluss jedoch einmal aus geraten diese Vereine schnell ins sportliche Hintertreffen. (siehe Corona) Denn eine belastbare eigene Ausbildungsstruktur existiert oft nicht.
Wenn wir die Bundesliga weiterentwickeln wollen, darf es nicht unser Anspruch sein, auf einem Modell mit solch zufallsgetriebenen Einstiegshürden zu bauen. Ein dauerhaft niederschwelliger Zugang für Externe ist kein nachhaltiges Fundament für eine nationale Liga. Der ScoreBonus setzt hier an: Er motiviert Vereine dazu, ihre eigene Basis zu stärken durch systematische, planbare Nachwuchsarbeit und verringert gleichzeitig die Abhängigkeit von externen Faktoren.
Dabei bleibt ausdrücklich festzuhalten: Der Einsatz zugezogener Spieler bleibt auch unter dem ScoreBonus möglich und willkommen. Rugby lebt von Offenheit und Internationalität und das soll so bleiben. Doch was die vergangenen zehn Jahre klar gezeigt haben: Eine nachhaltige Entwicklung des deutschen Rugbys kann daraus allein nicht entstehen. Wer auf zufällige Zugänge baut, betreibt kurzfristige Personalverwaltung, aber keine tragfähige Zukunftsgestaltung. Der ScoreBonus schafft hier ein neues Gleichgewicht: zwischen Offenheit und Eigenverantwortung, zwischen Internationalität und lokaler Entwicklung.
6. Identifikation, Bindung, Vereinskultur
Spieler, die im eigenen Verein groß geworden sind, bleiben oft länger, übernehmen Verantwortung und engagieren sich auch über ihre aktive Zeit hinaus. Sie prägen das Gesicht des Klubs, nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch in der Kabine, am Spielfeldrand und in der Vereinsstruktur. Ihre Identifikation mit dem Verein ist nicht bloß emotional, sondern gelebte Kultur. Sie werden zu Vorbildern für die nächste Generation, zu Ankerpunkten für junge Talente und zu Repräsentanten eines langfristigen Vereinsverständnisses. Solche Identifikationsfiguren sind unverzichtbar, wenn Rugby nicht nur gespielt, sondern gelebt werden soll, generationenübergreifend und nachhaltig.
Zugleich entfaltet eine starke Jugendarbeit Wirkung weit über das Sportliche hinaus: Mehr Kinder und Jugendliche bedeuten mehr Eltern am Spielfeldrand, mehr Helfende bei Spielen und Turnieren und damit mehr Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen. Das Ehrenamt wächst mit der Nachwuchsarbeit, nicht umgekehrt. Ein gut entwickelter Jugendbereich ist das soziale Rückgrat vieler Vereine. Er verbindet Familien, schafft Verantwortungsgemeinschaften und öffnet neue Räume für Engagement.
Darüber hinaus zeigt sich immer wieder: Wer als Kind mit einem Verein aufwächst, bleibt diesem oft über Jahrzehnte verbunden. Viele ehemalige Jugendspieler werden später zu engagierten Unterstützern, Jugendtrainern, Schiedsrichtern, Vorstandsmitgliedern oder Förderern. Sie bringen nicht nur Erfahrung mit, sondern auch emotionale Bindung und intrinsische Motivation. Diese langjährige Zugehörigkeit ist kein Zufall, sie entsteht aus frühzeitiger Einbindung, aus Vertrauen, aus gemeinsamen Erlebnissen. Und genau hier setzt der ScoreBonus mit seinem Bewertungssystem an.
Indem er den Ausbildungsweg über einen Zeitraum von fünf Jahren anerkennt, motiviert er Vereine, nicht erst im späten Jugendalter aktiv zu werden, sondern bereits in den frühen Jahrgängen mit der Ausbildung zu beginnen. Die Prägung beginnt nicht mit dem ersten Herrenspiel, sondern mit dem ersten Trainingsbesuch im Mini-Bereich. Wer früh investiert, bindet Menschen langfristig als Spieler, als Persönlichkeiten und als Teil einer gewachsenen Vereinsfamilie. Der ScoreBonus fördert genau dieses Denken: langfristig, nachhaltig, gemeinschaftsbildend.
7. Strukturförderung durch Wettbewerb
Der ScoreBonus macht Jugendarbeit zu einer sportlichen Währung. Er verleiht dem, was bislang oft im Schatten des Ligabetriebs stand, einen messbaren Wert auf dem Spielfeld. Plötzlich zählt nicht nur, wer am meisten Geld für erfahrene Spieler aufbringen kann, sondern auch, wer am besten darin ist, junge Talente zu erkennen, auszubilden und langfristig zu halten. Es entsteht ein neuer Wettbewerb, nicht um die größten Budgets, sondern um die klügsten Konzepte, die verlässlichste Förderung und die beste Verbindung zwischen Ausbildung und Einsatzzeit.
Besonders für kleinere Vereine bedeutet das eine echte Chance. Viele von ihnen leisten seit Jahren hervorragende Nachwuchsarbeit oft unter schwierigen Bedingungen, mit begrenzten Mitteln, aber mit enormem Engagement. Doch diese Anstrengungen blieben in der Vergangenheit oft unsichtbar oder wirkten sich nur indirekt auf den sportlichen Erfolg aus. Der ScoreBonus ändert das: Er gibt diesen Vereinen eine Bühne, auf der ihre Arbeit nicht nur gewürdigt, sondern direkt belohnt wird.
Talentausbildung wird damit zum strategischen Vorteil und zur Möglichkeit, auch ohne großes Budget sportlich mitzuhalten. Wer kontinuierlich eigene Spieler entwickelt, kann sich Respekt und Wettbewerbsvorteile verdienen, ohne auf externe Verstärkungen angewiesen zu sein. In einem System, das bislang vom kurzfristigen Zukauf lebte, bringt der ScoreBonus eine neue Form der Anerkennung: Er wertschätzt nachhaltige Entwicklung, und er gibt kleineren Standorten die Chance, mit kluger Arbeit die Lücke zur Spitze zu verkleinern nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Investition in die Zukunft.
8. Impuls auch für die Verbände: Verantwortung gemeinsam tragen
Der ScoreBonus erhöht nicht nur den Druck auf die Vereine, nachhaltige Nachwuchsarbeit zu leisten. Er stellt im Umkehrschluss auch klare Anforderungen an die Strukturen im deutschen Rugby insgesamt. Denn wer von den Clubs ein höheres Engagement in der Ausbildung junger Spieler verlangt, muss zugleich die notwendigen Rahmenbedingungen bereitstellen, die diesen Weg überhaupt erst gangbar machen.
Derzeit fehlen vielerorts genau diese Grundlagen: stabile Jugendspielbetriebe, regelmäßige Wettbewerbsformate in den Altersklassen U12 bis U18, ausreichend ausgebildete Trainer, flächendeckende Sichtungssysteme und verbindliche Förderwege über die Landesverbände hinweg. Besonders dringend ist auch der Ausbau einer systematischen und zugänglichen Ausbildung für Nachwuchstrainer, denn qualifizierte Ausbilder sind das Fundament jeder funktionierenden Talentförderung. Ohne sie bleiben viele Initiativen Stückwerk.
Wenn der ScoreBonus greifen soll, muss sich auch auf Seiten der Landes- und des Hauptverbands etwas bewegen. Der Druck zur Veränderung ist damit nicht einseitig, er wirkt auf allen Ebenen. Das macht den ScoreBonus nicht nur zu einem sportpolitischen Steuerungsinstrument, sondern auch zu einem Prüfstein für die Leistungsfähigkeit und Reformbereitschaft der bestehenden Strukturen. Wer Nachwuchsarbeit einfordert, muss auch ermöglichen, dass sie gelingen kann. Der ScoreBonus bringt damit Bewegung ins System und fordert Verantwortung von allen Beteiligten.
Wo der ScoreBonus weiterentwickelt werden kann
Der ScoreBonus ist kein starres System, sondern ein dynamisches Werkzeug. Er versteht sich nicht als Endpunkt, sondern als Ausgangsbasis für eine nachhaltige Entwicklung des deutschen Rugbys. Anpassungen und Weiterentwicklungen sind dabei nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht, denn ein gutes System erkennt man daran, dass es lernfähig bleibt und mit seiner Aufgabe wachsen kann.
Score-Spanne anpassen:
Die Progression des Mindestscores kann und sollte regelmäßig überprüft werden. Je nach Entwicklung der Vereinslandschaft, etwa bei einer spürbaren Steigerung der Ausbildungszahlen, kann die Score-Spanne behutsam angepasst werden, ohne den notwendigen Entwicklungsdruck zu verlieren. Das schafft Planbarkeit und Beweglichkeit zugleich.
Engagement honorieren:
Spieler, die sich über den Platz hinaus einbringen, etwa mit einer Trainerlizenz im Jugendbereich, leisten einen wertvollen Beitrag zur Ausbildung der nächsten Generation. Solches Engagement verdient nicht nur Respekt, sondern auch gezielte Anreize, zum Beispiel durch eine moderate Reduktion ihres persönlichen Scores. Das fördert den Know-how-Transfer im Verein und stärkt das Ehrenamt als zentrales Element des deutschen Rugbys.
Nachweiszeitraum früher ansetzen:
Die aktuelle Bewertung ab dem 12. Lebensjahr ist ein guter Anfang, doch sie greift in vielen Fällen zu spät. Wer bereits mit acht oder zehn Jahren beginnt, sich im Verein zu engagieren, als Spieler, als Teil der Gemeinschaft, als Perspektivträger sollte ebenfalls Anerkennung im System finden. Ein früherer Ansetzpunkt im ScoreBonus würde diesen Einsatz realistisch abbilden und frühe Bindung zusätzlich belohnen.
Übergänge fördern:
Besonders sensibel ist die Schnittstelle vom Jugend- in den Herrenbereich hier gehen viele Talente verloren. Wer diese Übergänge aktiv gestaltet und regelmäßig U18-Spieler in den Erwachsenenkader integriert, könnte dafür Bonuspunkte erhalten. Denkbar wären beispielsweise Anreize für Vereine, die über mehrere Jahre hinweg konsequent eigene Nachwuchsspieler in den Herrenbereich überführen, etwa nach dem Modell: drei Spieler pro Jahr, über fünf Jahre.
Diese und andere Ideen zeigen: Wer konstruktiv denkt und bereit ist, sich einzubringen, kann mit dem ScoreBonus ein starkes, flexibles und zukunftsfähiges Instrument formen. Die Grundlagen sind gelegt jetzt braucht es Beteiligung, Dialog und gemeinsame Weiterentwicklung.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine Schiedsklage tatsächlich das richtige Mittel ist, um einen offenen und produktiven Diskurs über diese Regelung anzuregen. Der ScoreBonus wurde in einem demokratischen Gremium beschlossen und kann dort auch weiterentwickelt werden: Die regelmäßigen Sitzungen der Rugby Bundesliga Ausschüsse (RBA) bieten ausdrücklich die Möglichkeit, Anträge einzubringen und Mehrheiten für Änderungen zu organisieren. Wer Argumente und Vorschläge hat, findet dort Gehör, sofern der Weg über die Gremien gesucht wird.
Dass in diesem Prozess leider viele Kommunikationsebenen übersprungen wurden, ist nicht nachvollziehbar und beschädigt letztlich das Vertrauen in die gemeinsame Entwicklungskultur des deutschen Rugbys. Nur durch offene Debatte, transparente Verfahren und respektvollen Austausch kann eine Regelung wie der ScoreBonus ihr volles Potenzial entfalten. Wer verändern will, muss sich beteiligen. Klagen sollte das letzte Mittel der Wahl bleiben und nicht der erste Reflex.
Niemand behauptet, dass der ScoreBonus der heilige Gral des deutschen Rugbys sei oder dass er fehlerfrei sei. Wie jede strukturelle Maßnahme lebt auch dieses Modell von Erfahrungen, Rückmeldungen und Weiterentwicklungen. Doch was ihn auszeichnet, ist nicht seine Unfehlbarkeit, sondern sein Mut zur Veränderung. Der ScoreBonus ist der bewusste Versuch, eingefahrene Wege zu verlassen und ein System zu etablieren, das nachhaltige Entwicklung belohnt, statt nur kurzfristige Erfolge zu ermöglichen. Er ist ein Signal an alle Beteiligten: Wir wollen nicht länger nur reagieren, wir wollen gestalten. Und dieser Gestaltungswille ist ein notwendiger erster Schritt, um das deutsche Rugby aus seiner strukturellen Stagnation zu befreien.
Gebt dem neuen System eine faire Chance
Der ScoreBonus ist kein Allheilmittel, aber er ist ein richtiger Schritt zur richtigen Zeit. Er korrigiert strukturelle Fehlentwicklungen, fördert nachhaltiges Handeln und bringt neue Dynamik in eine Liga, die allzu lange stagnierte.
Doch klar ist auch: Der ScoreBonus kann seine volle Wirkung nur entfalten, wenn er nicht isoliert steht, sondern durch fördernde Maßnahmen aktiv flankiert wird. Ausbildungsarbeit braucht Unterstützung, in Form von qualifizierten Trainerprogrammen, stabilen Jugendspielbetrieben, verbindlicher Verbandsarbeit und finanzieller Entlastung für die Basis. Nur wenn die Rahmenbedingungen mitwachsen, kann ein solches System zum Motor für nachhaltige Entwicklung werden. Anreize und Anforderungen müssen sich dabei die Waage halten.
Es ist Zeit für einen Perspektivwechsel: weg vom kurzfristigen Titelkauf, hin zu echter, langfristiger Investition in Ausbildung, Bindung und sportliche Identität. Wer heute klug entwickelt, wird morgen nicht nur erfolgreicher, sondern relevanter Rugby spielen.
„Ein Verein ist nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn er sich aus sich selbst heraus entwickeln kann – mit einem starken Unterbau und klarer Idee.“– Ralf Ragnick
In diesem Sinne: Gebt dem ScoreBonus eine faire Chance, nicht aus Pflicht, sondern aus Überzeugung. Für eure Vereine, für den Verband und für den Sport, den wir alle lieben.
コメント