Amerika rüstet auf – und zwei Deutsche sind mittendrin
- Rugby-News Team
- 22. Mai
- 4 Min. Lesezeit
In den Vereinigten Staaten tut sich etwas. Viel sogar. Rugby, lange Zeit eine Randsportart im Land der Super Bowls und Slam Dunks, steht vor einem Durchbruch. Die kommenden Jahre werden entscheidend sein: 2028 die Olympischen Spiele in Los Angeles, 2031 die Rugby-Weltmeisterschaft der Männer, 2033 die der Frauen. Drei Großereignisse innerhalb von fünf Jahren – das gab es noch nie. Und während sich die USA rugbymäßig aufrüsten, sind zwei deutsche Spieler mittendrin.

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Wenn es um große sportliche Visionen geht, dann kann kaum jemand so überzeugend trommeln wie die USA. Und Rugby? Das steht plötzlich ganz oben auf der Agenda. Bill Goren, Generaldirektor von USA Rugby und Ex-Funktionär bei der MLB und NBA, bringt es auf den Punkt: „Wir haben über Sechs-Nationen-Spiele in den USA gesprochen. Es ist machbar.“
Schon im Sommer kommt England zu einem Testspiel nach Washington. Im November tourt das US-Team nach Schottland, während Irland gegen die All Blacks in Chicago aufläuft. Marketing spielt dabei eine ebenso große Rolle wie sportliche Entwicklung. Oder wie Goren es sagt: „Das hilft uns vielleicht nicht direkt bei der Leistung, aber es bringt Aufmerksamkeit. Und die brauchen wir.“
Auch World Rugby spielt mit. Deren Geschäftsführer Alan Gilpin hatte es bereits 2023 auf den Punkt gebracht: „Wenn Rugby nur ein Prozent des amerikanischen Sportmarkts bekommt, verändert das alles.“
Und während man in den Chefetagen an neuen Formaten feilt, wird auf dem Rasen in der MLR gearbeitet. Spieler wie Ernest Freeman und Chris Hilsenbeck machen da keine großen Schlagzeilen – aber sie sind da. Und das allein ist für deutsches Rugby bemerkenswert genug.
Ernest Freeman: Aus Frankfurt in die MLR
Ernest Freeman, 23, hat einen Weg hinter sich, wie ihn nicht viele deutsche Rugbyspieler gehen. Seine Wurzeln liegen bei Frankfurt 1880, wo er mit den U14-, U16- und U18-Teams deutscher Meister wurde. Parallel dazu durchlief er die Jugend-Nationalmannschaften Deutschlands, bevor er sich später für die US-amerikanische Nationalmannschaft entschied.
Sein Weg in den USA brachte ihn an die University of Arizona, wo er sportlich wie physisch den nächsten Schritt machte. 2024 wurde der Center in der zweiten Runde von Anthem RC gedraftet.
In der Saison 2025 stand Freeman in zehn MLR-Spielen auf dem Platz, erzielte dabei einen Versuch und gehörte zu den auffälligeren Akteuren in einem Team, das noch im Aufbau ist. Physisch stark, laufbereit, mit Spielverständnis. Kein Lautsprecher, aber ein Spieler, der auf dem Feld klare Antworten gibt. Einer, den man auf dem Radar haben sollte – gerade aus deutscher Sicht.
Chris Hilsenbeck: Erfahrung aus Europa
Chris Hilsenbeck ist ein ganz anderer Typ. 32 Jahre alt, geboren in Kalifornien, für Deutschland 30-mal aufgelaufen. Über ein Jahrzehnt Rugby in Frankreichs Pro D2 – 54 Spiele für Colomiers, 122 für Vannes, dann Carcassonne, schließlich Biarritz. Ein Spieler mit klarer Handschrift: überlegt, taktisch klug, ballsicher – ein Lenker eben.
2023 wechselte er in die MLR zu Rugby Atlanta, zeigte dort direkt Wirkung. Vier Einsätze, 273 Minuten, elf Punkte – dazu über 130 Meter Raumgewinn und eine starke Tacklestatistik. Nach Atlantas Auflösung ging es 2025 weiter zu Chicago.
Für das neue Team aus dem Norden steht Hilsenbeck in der laufenden Saison ebenfalls zehnmal auf dem Platz – als verlässlicher Taktgeber im Rückraum. Ein Spieler, den Trainer gerne auf dem Feld wissen, wenn Struktur gefragt ist.
Die Liga: Amerikanisches Modell, internationales Ziel
Die Major League Rugby ist keine klassische Rugby-Liga nach europäischem Vorbild. Sie folgt dem nordamerikanischen Franchise-System – vergleichbar mit der MLS im Fußball oder der NBA im Basketball. Es gibt keine Auf- und Abstiege, keine Zweitklassigkeit – stattdessen ein geschlossener Wettbewerb mit langfristig gesicherten Standorten. Die Teams, auch „Franchises“ genannt, sind Teil eines Liga-Konstrukts, das zentral geführt wird. Jeder Klub ist Miteigentümer der Liga – ein Modell, das Investoren kalkulierbare Sicherheit bietet.
Die Saison läuft über fünf Monate – von Ende Februar bis Anfang Juli. Gespielt wird seit 2020 in zwei Conferences: Ost und West. Jede Mannschaft absolviert 16 Spiele in der regulären Saison – jeweils gegen alle Teams der eigenen Conference (Hin- und Rückspiel) sowie sechs Begegnungen gegen Teams aus der anderen Gruppe. Danach folgt die Playoff-Phase: In jeder Conference spielen Platz 2 und 3 ein Wildcard-Spiel aus, dessen Sieger anschließend gegen den Erstplatzierten um den Einzug ins große Finale spielt.
Was die MLR im internationalen Vergleich besonders macht: Sie ist strukturell jung, aber professionell geführt, und trotz sportlich noch überschaubarer Tiefe zieht sie Spieler aus aller Welt an – darunter ehemalige Top-Profis aus Neuseeland, Südafrika, Australien, England oder Frankreich. Die Liga ist stark auf Expansion ausgerichtet, mit neu gegründeten Franchises, Medienpartnerschaften und einer klaren Ausrichtung auf den US-Markt. Zuschauerzahlen um die 3.000 bis 7.000 sind aktuell Standard, mit Ausreißern nach oben bei Großevents.
Im Vergleich zur englischen Premiership oder der französischen Top 14 fehlt der sportliche Feinschliff, aber: Der strukturelle Unterbau wächst. Rugby-Akademien, Uni-Kooperationen, Nachwuchsprogramme – sie alle sollen in den kommenden Jahren für eigene Talente sorgen. Bis dahin ist die Liga ein Treffpunkt ausländischer Spieler mit Perspektive – und für deutsche Profis wie Hilsenbeck oder Freeman eine Plattform, auf der sie sich auf Augenhöhe mit internationaler Konkurrenz beweisen können.
Fazit: Was heute unvorstellbar wirkt, kann morgen Normalität sein
Rugby in den USA ist längst kein Außenseiterprojekt mehr. Es ist ein Wachstumsmarkt mit klarer Strategie – WM-Vergaben, Olympia-Schub, MLR als Plattform. Noch fehlt der sportliche Glanz. Aber das Gerüst steht. Und mit Spielern wie Freeman und Hilsenbeck taucht auch deutsche Rugby-DNA dort auf, wo gerade Zukunft verhandelt wird.
Es geht nicht um Stars. Es geht um Substanz. Und um eine Idee: dass man etwas aufbauen kann, wenn man den langen Atem hat – und die Vision.Der Fußball hat es vorgemacht.
„Vor der WM 1994 dachte niemand, dass der Fußball in den USA eine Zukunft hat. Heute kann jedes Kind in den USA Fußball spielen“, sagt USA-Rugby-Chef Bill Goren.
Es ist ein Satz, der bleibt. Und ein Satz, der klar macht, was das Ziel ist:Dass Rugby in den USA eines Tages nicht mehr exotisch wirkt. Sondern ganz selbstverständlich dazugehört.
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