top of page

Dramatik in Prag

  • Rugby-News Team
  • vor 26 Minuten
  • 6 Min. Lesezeit

Deutsches Nachwuchs-Rugby zwischen Aufbruch und Lehrstunde


Photo Credit: Rugby Europe
Photo Credit: Rugby Europe

Als der Ball in der Prager Abendluft ein letztes Mal quer über das Feld segelte, lagen Jubel und Entsetzen nur wenige Meter auseinander. Ein präziser Crosskick der niederländischen U18, sicher gefangen auf dem Flügel, ein durchgelaufener Versuch – und plötzlich stand es 18:16. Für die deutsche U18-Nationalmannschaft endete ein über weite Strecken dominantes Viertelfinale der Rugby Europe Championship mit einem brutalen Stich in der Nachspielzeit. Einen Tag später musste auch die U20 eine klare Niederlage hinnehmen. Doch wer nur auf die nackten Ergebnisse blickt, unterschätzt, welche Bedeutung diese Woche in Prag für das deutsche Nachwuchs-Rugby hat.


Die Bühne von Prag

Sowohl die U18- als auch die U20-Europameisterschaften von Rugby Europe werden in diesem Jahr im Marketa-Stadion in Prag ausgetragen. Acht Nationen messen sich jeweils im kompakten Turnierformat innerhalb einer Woche, gespielt wird fast täglich: Viertelfinals, Halbfinals, Platzierungsspiele – ein Rhythmus, der eher an ein Nachwuchs-Pendant zu Sechs-Nationen-Turnieren erinnert als an die gelegentlichen Testspiele, die viele deutsche Spieler aus dem Vereinsalltag kennen.


Für Deutschland sind diese Turniere mehr als nur „weitere Länderspiele“: Sie sind Referenzpunkte. Hier zeigt sich, ob die Jahrgänge mit den etablierten Rugby-Nationen Europas mithalten können, wie belastbar die Strukturen im Nachwuchsbereich sind – und ob die vielen Mühen in Vereinen und Leistungszentren tatsächlich in international konkurrenzfähige Mannschaften münden.


U18: Überragende Leistung, dramatisch nicht belohnt

Gegen die Niederlande zeigte die deutsche U18 genau das Bild einer Mannschaft, die sich nicht vor großen Namen verstecken muss. Zunächst allerdings bestimmten die Oranje das Scoreboard: Zwei Straftritte ihres Verbindungsspielers brachten sie in Führung, während Deutschland Zeit brauchte, um in die Begegnung zu finden. Dann jedoch kippte die Statik des Spiels. Über Phasen hinweg dominierte das deutsche Team die Kontakte, verlegte den Kampfpunkt tief in die niederländische Hälfte und belohnte sich mit einem Versuch, dazu kamen sicher verwandelte Kicks. Zur Pause führte Deutschland 13:6 – ein Zwischenstand, der den Verlauf eher unter- als überzeichnete.


Nach dem Seitenwechsel blieb Deutschland die strukturiertere Mannschaft. Aus einer stabilen Defensive heraus gelang es immer wieder, die Niederlande in die eigene Hälfte zurückzudrängen. Ein weiterer Straftritt stellte auf 16 Punkte, die Führung schien – trotz eines niederländischen Versuchs – zu halten. Es war das klassische Bild einer Partie, in der ein Außenseiter sich nicht nur „tapfer verkauft“, sondern den Favoriten über lange Strecken kontrolliert.


Dann die Szene, die das Spiel definierte: In der Nachspielzeit, Deutschland in der Defensive, die Niederlande in aussichtsreicher Feldposition, der Ball wandert zur Zehn – ein hoher, diagonal geschlagener Kick in den Rücken der Abwehr, der Flügel fängt, läuft durch, ablegt. Der Schiedsrichter pfeift gar nicht erst wieder an. 18:16, das deutsche Herz kurz still.


Für Bundestrainer Samy Füchsel ist es dennoch ein Abend, den er nicht in erster Linie mit der Anzeigetafel verbindet. „Wir haben eine überragende Performance einer U18-Nationalmannschaft gesehen, deren Leistung zum Schluss leider sehr dramatisch nicht belohnt wurde“, sagt er. Man spüre aber vor allem eines: „Wir sind unglaublich stolz auf die Jungs.“ Die Entwicklung seit dem letzten Zusammenziehen der Mannschaft, ebenfalls in Prag, sei bemerkenswert. Das Testspiel gegen Tschechien und ein Trainingsspiel gegen den Heidelberger RK hätten dem Team die Möglichkeit gegeben, sich in Struktur und Abstimmung gezielt auf die Niederländer vorzubereiten – und genau das war auf dem Feld sichtbar.


Gleichzeitig verschweigt Füchsel die andere Seite nicht. Die Spieler hätten „ein paar Körner gelassen“, es gebe „ein, zwei Fragezeichen“ für den Einsatz einzelner Akteure im nächsten Spiel. Doch die Stimmung im Kader sei unverändert gut, man merke deutlich, „dass die Jungs hungrig auf mehr sind und an dieser Leistung anknüpfen werden“. Die Niederlage ist damit nicht nur ein schmerzhafter Moment, sondern auch ein Prüfstein: Wie schnell gelingt es einer jungen Mannschaft, eine dramatische Schlussphase zu verarbeiten und die gewonnenen Erkenntnisse in das nächste Spiel zu tragen?


U20: Eine klare Niederlage als Lehrstunde

Ganz anders das Bild bei der U20: Das 7:31 gegen Belgien liest sich wie eine klare, beinahe einseitige Angelegenheit – und war es phasenweise auch. Belgien zeigte von Beginn an, warum die Rugby-Europe-Turniere auch im Nachwuchsbereich längst keine geschlossene Veranstaltung der „klassischen“ Rugby-Länder mehr sind. Physisch stark, mit Tempo im Backfield und einer konsequenten Chancenverwertung, setzten die Belgier Deutschland schon in der ersten Halbzeit unter Druck und zogen im Scoreboard davon.


Aus deutscher Sicht ist das Bittere an diesem Nachmittag, dass die Niederlage nicht aus einem völligen Systemversagen resultierte. Im Gegenteil: Nach dem Spiel war aus dem Umfeld des Teams zu hören, man habe durchaus längere Phasen mit viel Ballbesitz gehabt, sei mehrfach in gute Feldpositionen gekommen – nur um dann durch Ungenauigkeiten, Ballverluste oder schlechte Entscheidungen an der gegnerischen Fünfmeterlinie gestoppt zu werden. Ballbesitz ohne Konsequenz, Fehler zur Unzeit: Gegen einen Gegner, der seine Chancen im Gegenzug eiskalt nutzt, ist das die verlässliche Rezeptur für eine deutliche Niederlage.


Die U20 bekommt damit eine andere Art von Rückmeldung als die U18. Während Füchsels Team eher die grausame Laune des Spiels in der Schlussminute zu spüren bekam, führte die Partie der älteren Jahrgangsstufe vor Augen, wie hoch der Preis für technische Fehler und Unkonzentriertheiten auf diesem Niveau ist. Wer sich in den europäischen Spitzenbereich vorarbeiten will, muss nicht nur mithalten können, sondern die eigene Spielidee auch über 80 Minuten präzise auf den Platz bringen.


Zwischen Anschlussfähigkeit und Abstand

Was sagen diese beiden Partien über den Stand des deutschen Nachwuchs-Rugbys?


Die U18 hat in Prag eindrucksvoll gezeigt, dass sie mit anderen Rugby-Nationen nicht nur Schritt halten, sondern ihnen zeitweise das Spiel aufzwingen kann. Körperlichkeit, Organisation in der Defensive, kluge Kicking-Strategie – all das war gegen die Niederlande zu sehen. Dass am Ende ein Crosskick in der Nachspielzeit den Unterschied macht, ist weniger ein strukturelles Alarmzeichen als ein Hinweis auf jene feinen Nuancen im Spielmanagement, an denen auf diesem Niveau Spiele hängen. Für die deutsche U18 ist die Niederlage daher zugleich Bestätigung und Auftrag: Der Anschluss ist hergestellt, die Kunst, enge Spiele zuzumachen, muss noch reifen.


Bei der U20 fällt das Bild rauer aus. Das 7:31 gegen Belgien zeigt, wie schmal der Grat zwischen konkurrenzfähiger Anlage und klarer Niederlage ist. Es bedarf nicht vieler konzeptioneller Änderungen, aber einer deutlich geringeren Fehlerquote und konsequenterer Nutzung der eigenen Chancen. Gerade im Übergang vom Jugend- in den Erwachsenenbereich, wo viele dieser Spieler in den kommenden Jahren in Bundesliga und Nationalmannschaft hineinwachsen sollen, ist diese Lektion von zentraler Bedeutung.


Der Blick nach vorn: Muss-Spiele mit Signalwirkung

Für beide Mannschaften geht es nun in die Platzierungsspiele um die Ränge fünf bis acht – sportlich vermeintlich Randplätze, für die Entwicklung aber zentrale Wegmarken.


Die U18 trifft im Ranking-Halbfinale auf Belgien, eine Mannschaft, die ihrerseits zum Auftakt schwer unter die Räder geraten ist, nun aber um Stabilität und Selbstvertrauen kämpft. Aus deutscher Sicht ist es ein Pflichtsieg, will man sich die Chance auf Platz fünf bis zum Finalwochenende offenhalten. Füchsel formuliert die Zielrichtung klar: In der kurzen Zeit bis Dienstag werde man „nochmal an ein paar Abstimmungen arbeiten“, jedes Spiel werde genutzt, „um sich als Team und individuell weiterzuentwickeln“. Die Belgier schätzt er trotz deren hoher Auftaktniederlage als „sehr starke Mannschaft“ ein, die Duelle seien „immer sehr umkämpft“. Entsprechend dürfte Deutschland gut daran tun, die eigene Favoritenrolle eher innerlich zu akzeptieren als laut auszusprechen – und sie dann mit derselben Ernsthaftigkeit zu unterfüttern, mit der man gegen die Niederlande aufgetreten ist.


Die U20 wiederum trifft auf die Schweiz – ein Gegner, der gegen die Niederlande ebenfalls deutlich verloren hat und nun wie Deutschland auf der Suche nach dem ersten Turniersieg ist. Für den deutschen Jahrgang geht es um mehr als nur um Platz fünf oder sieben. Es geht darum, auf die deutliche Lehrstunde gegen Belgien eine Antwort zu finden, die zeigt, dass dieser Kader in der Lage ist, innerhalb weniger Tage zu reagieren, Fehlerquellen zu identifizieren und in einem Spiel mit hohem Druck – „wer gewinnt, spielt um Platz fünf“ – die eigene Spielidee auf dem Platz durchzusetzen.


Am Ende dieser Prager Woche wird man auf zwei Turniere zurückblicken, die exemplarisch für den Zustand des deutschen Nachwuchs-Rugbys stehen: eine U18, die nahe dran ist, Spiele gegen starke Gegner zu gewinnen, und eine U20, die schmerzhaft erfahren hat, wie unerbittlich das internationale Niveau ist. Dass beide Teams dennoch die Chance haben, ihre jeweilige Geschichte in den Platzierungsspielen zu einem positiven Ende zu führen, ist mehr als nur ein Trostpreis. Es ist die Gelegenheit, aus bitteren Momenten sportliche Reife zu machen – und genau das ist im Nachwuchs letztlich wichtiger als jede Platzierungstabelle.


Nächste Spiele der deutschen Nachwuchsteams in Prag


  • U18: Belgien – Deutschland, Dienstag, 18. November 2025, 13.30 Uhr (MEZ), Marketa Stadium, Prag


  • U20: Schweiz – Deutschland, Mittwoch, 19. November 2025, 13.30 Uhr (MEZ), Marketa Stadium, Prag

bottom of page