Michael Seidler – Ein neuer Kurs für Rugby Deutschland
- Rugby-News Team
- 6. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Wie tickt der neue Präsident von Rugby Deutschland? Was treibt ihn an, und wie will er nach Jahren der Krise Vertrauen zurückgewinnen? Michael Seidler spricht über Verantwortung, Aufbruch – und eine Entscheidung, die bei einem Glas Rotwein fiel.
„Frag nicht, was Rugby Deutschland für dich tun kann – frag dich lieber, was du für Rugby Deutschland tun kannst.“ Für viele klingt dieser Satz nach Politpoesie aus besseren Zeiten. Für Michael Seidler ist er eine Handlungsanweisung. Keine große Geste – sondern ein Arbeitsauftrag, dem er sich mit seinem Verband stellen möchte. Weniger Chiffre für moralische Aufrüstung, mehr Gebrauchsanweisung für Leute, die lieber machen statt meinen.
Ein Präsident aus der Praxis

Michael Seidler kennt das deutsche Rugby wie kaum ein Zweiter. „Ich habe 1969 beim Berliner Rugby Club angefangen. Damals hat mich ein Nachbarsjunge mitgenommen – so hat das angefangen. Klassisch: einer bringt den anderen mit“, erinnert er sich. Seitdem blieb er dem Sport verbunden: als Spieler in Berlin und Köln von Wuppertal aus als Unterstützer, als kritischer Beobachter – und nun als Präsident eines Verbandes, der dringend eine Kurskorrektur braucht.
2025 hat Michael Seidler das Ruder übernommen. In einem Verband, der zuletzt nicht durch sportliche Erfolge, sondern durch interne Grabenkämpfe auffiel. Rücktritte, Vertrauenskrisen, ein Klima der Zerstrittenheit. Warum also tut sich jemand wie Michael Seidler das an?
Einer, der jahrzehntelang als Führungskraft in der internationalen Lackindustrie unterwegs war, der Unternehmen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Großbritannien leitete – jemand, der seine Zeit durchaus auch auf dem Golfplatz oder beim Segeln verbringen könnte. Doch Michael Seidler ist keiner, der einfach abtritt, wenn es ungemütlich wird. Privat ist er Vater von vier Erwachsenen Kindern – das Familienleben hat ihn geerdet, das Berufsleben geschärft. Als er 2024 beschloss, seine Vollzeitstelle zu beenden, stand für ihn zunächst etwas anderes im Raum: „Ich habe überlegt, mich stärker in den Sportvereinen meiner Kinder zu engagieren. Das war eine ernsthafte Option.“ Doch am Ende siegte das Bauchgefühl.
Deswegen kommt die Antwort ohne Pathos, aber mit Klarheit: „Ich wollte etwas fürs Rugby tun. Und ich wollte nicht nur meckern, sondern mithelfen. Also habe ich an einem Donnerstagabend bei einem Glas Rotwein entschieden: Ich stelle mich der Wahl.“
Die Wahl und die ersten Schritte
Gewählt wurde Michael Seidler schließlich am 3. Februar 2025 – nicht etwa auf einem klassischen Deutschen Rugby-Tag, sondern auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, die notwendig geworden war, nachdem sich das vorherige Präsidium weitgehend zurückgezogen hatte. Die Wahl war das Ergebnis einer längeren Phase des Umbruchs – und Michael Seidlers Kandidatur eine Antwort auf die vielen Stimmen aus der Rugby-Community, die einen Neuanfang forderten.
Nach seiner Wahl war Michael Seidler zwar formell Präsident – aber mit begrenzter Machtfülle. „Die Leute glauben immer, der Präsident kann durchregieren wie ein Vorstandsvorsitzender. Aber das ist Unsinn“, erklärt er. Im deutschen Rugbyverband ist das Präsidium strategisch ausgerichtet, die operative Verantwortung aber liegt beim Vorstand und den “Ressortleitern”. „Wenn jemand glaubt, ich könnte morgen einfach einen Trainer entlassen oder einstellen, dann täuscht er sich.“ Diese Struktur, die vergleichbar ist wie bei einem Aufsichtsrat und einem Vorstand, schaffe zwar eine gewisse Gewaltenteilung, sei aber in der Vergangenheit auch Quelle von Spannungen gewesen, so Michael Seidler.
Ein neuer Ton beim Deutschen Rugby-Tag
Der Deutsche Rugby-Tag im März 2025 markierte für Michael Seidler einen Wendepunkt – und zwar nicht nur, weil es seine erste Teilnahme als gewählter Präsident war. „Was mir wirklich aufgefallen ist: Die Diskussionen waren endlich wieder sachlich. Es wurde diskutiert, ja – aber respektvoll. Das war lange nicht selbstverständlich.“
Tatsächlich galten die Deutschen Rugby-Tage in den vergangenen Jahren als Sinnbild für politische Spannungen und persönliche Anfeindungen. Gereizte Stimmung, hitzige Wortgefechte und ein Klima der Zerstrittenheit prägten die Veranstaltungen. Auch Michael Seidler versteckt die Altlasten nicht: „Es gab Lagerbildungen, persönliche Angriffe, gegenseitige Blockaden. Landesverband gegen Landesverband, Verein gegen Nachbarverein – teilweise grotesk“, erinnert er sich.
Der DRT wurde damit zu einem sichtbaren Zeichen für den Aufbruch, den Michael Seidler anstoßen wollte – ein Treffen, das statt Konfrontation erstmals wieder Debatte ermöglichte.
Doch es war nicht nur der Ton, sondern auch die Inhalte, die Michael Seidler positiv stimmten. „Da kamen aus dem Plenum richtig gute Ideen“, erinnert er sich. „Es ging um die Frage: Wie können wir die Basis stärken? Was brauchen die Vereine wirklich?“ Besonders die Vorschläge zur Förderung des Jugendrugby und zur besseren Unterstützung von Trainern und Ehrenamtlichen beeindruckten ihn. Aber auch über digitale Vereinsentwicklung und die strukturelle Weiterentwicklung des Ligabetriebs wurde nachgedacht. „Da war viel Qualität dabei – Dinge, die wirklich Potenzial haben.“
Diese Offenheit für neue Konzepte war für Michael Seidler ein Signal: „Wir haben es geschafft, die Gespräche wieder in eine konstruktive Richtung zu lenken. Das war längst überfällig.“ Trotzdem ist ihm bewusst: Viele der Ideen brauchen Ressourcen – personell und finanziell. „Da müssen wir ehrlich sein: Wir können nicht alles gleichzeitig machen. Das wäre illusionär.“
Realismus und Aufarbeitung

Ein Verband im Umbruch kann sich keine Illusionen leisten. Michael Seidler hat das verstanden und setzt auf Aufarbeitung statt Verdrängung. Für ihn bedeutet Neuanfang nicht nur Visionen zu entwickeln, sondern auch die Fehler der Vergangenheit klar zu analysieren – mit dem Ziel, strukturelle Schwächen aufzudecken und zu beheben.
Ein wichtiger Baustein in diesem Prozess war die unabhängige Kassenprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer. Diese Entscheidung führte allerdings nicht nur zu positiven Reaktionen. „Da ist eine Menge Unruhe entstanden“, räumt Michael Seidler ein. „Das hat auch mit Misstrauen zu tun.“ Viele hatten Sorge, dass die Prüfung alte Wunden aufreißen könnte, doch für Michael Seidler war der Schritt unumgänglich: „Ich gehe nicht davon aus, dass da irgendetwas Strafrechtliches drinsteht.“ Statt Skandalen erwartet er Aufklärung. „Es geht nicht darum, Schuldige zu finden. Es geht darum, zu verstehen, wo Fehler lagen und wie wir künftig besser aufgestellt sind.“
Dabei will er die Vergangenheit nicht verdrängen, sondern nutzen. „Wir müssen ehrlich hinschauen – nicht um abzurechnen, sondern um uns zu verbessern. Nur so schaffen wir eine stabile Basis für die Zukunft.“
Haushalt und finanzielle Herausforderungen
Klar ist: Ein Verband kann in Zukunft nicht von Luft und guten Vorsätzen leben. Michael Seidler weiß das – und setzt auf finanzielle Stabilität statt auf fromme Wünsche. Dabei geht es ihm nicht nur darum, Lücken zu stopfen, sondern eine solide Basis zu schaffen. Denn Veränderung braucht nicht nur Köpfe, sondern auch Kassen.
Michael Seidler erklärt: „Wir müssen raus aus finanzieller Unsicherheit“. Jahrelang habe der Verband unter wechselnden Geldgebern und einer unsicheren Finanzplanung gelitten. „Wir brauchen eine verlässlichere Grundlage – keine Hauruck-Aktionen, sondern planbare Mittel.“
Ein Großteil der Mittel insbesondere für das 15er Programm stammt von World Rugby : „Die Unterstützung von World Rugby hilft uns, aber sie ist an Bedingungen geknüpft“, erklärt Michael Seidler. Es geht dabei vor allem um die Förderung von Projekten im Bereich der Nationalmannschaften und des Spitzensports. „Ohne diese Mittel wären viele unserer Maßnahmen nicht umsetzbar.“
Darüber hinaus erhält der Verband Gelder vom Bundesministerium des Innern und für Heimat, das ebenfalls für Sport zuständig ist. Allerdings ist die vollständige Finanzierung derzeit unsicher: „Durch den Regierungswechsel sind manche Fördermittel noch nicht endgültig bestätigt. Da müssen wir abwarten, welche neuen haushaltspolitischen Akzente gesetzt werden.“
Die wichtigste und größte Finanzierung ist die olympische Förderung, die jedoch ausschließlich dem 7er-Rugby-Programm zugutekommt. „Die olympischen Mittel fließen nur in die Förderung des 7er-Programms. Das ist klar definiert“, betont Michael Seidler. „Das schränkt uns natürlich ein, weil wir auch im 15er-Bereich dringend weitere finanzielle Unterstützung benötigen.“
Auf Nachfrage kann Michael Seidler zumindest die Finanzierung der Nachwuchsnationalmannschaften im 15er-Rugby zusichern, wobei möglicherweise leider eine Selbstbeteiligung notwendig sein wird.
Michael Seidler betont daraufhin die Notwendigkeit, die finanzielle Basis breiter aufzustellen: „Das kann keine Dauerlösung sein. Wir brauchen eine breitere Basis.“ Statt sich allein auf staatliche Mittel und Fördergelder zu verlassen, sollen auch private Sponsoren und neue Finanzierungsmodelle eingebunden werden.
Besonders wichtig ist Michael Seidler die transparente Kommunikation mit den Vereinen: „Die Leute wollen wissen, was mit ihrem Geld passiert. Da müssen wir offener werden.“ Transparenz und regelmäßige Berichte sollen helfen, Vertrauen zurückzugewinnen. „Es wird nicht einfach. Aber wir dürfen die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Geld allein löst keine Probleme – aber ohne Geld können wir auch nichts bewegen.“
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