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"Wir stehen heute besser da als je zuvor"

  • Rugby-News Team
  • 11. Mai
  • 6 Min. Lesezeit

Ein ausführliches Gespräch mit dem Trainer der deutschen Siebener-Nationalmannschaft Clemens von Grumbkow über Karrierewege, Umbrüche, Ambitionen und die große Vision - Olympia.




Clemens, du warst viele Jahre als Spieler aktiv – im Fünfzehner wie im Siebener. Wie hat sich dein Verhältnis zum Siebener-Rugby über die Zeit verändert?


Ich komme ursprünglich aus dem Fünfzehner Rugby, und habe mich immer für den besseren 15er Spieler gehalten. Vielleicht auch deshalb, weil man früher 7er Rugby nur nebenbei gespielt hat – im Sommer nach der Bundesliga, zwei, drei Turniere, Deutsche Meisterschaft, vielleicht ein Einladungsturnier. Das war nicht der Fokus.


Gab es für dich einen Wendepunkt, an dem sich das geändert hat?


Ja, absolut – der Wendepunkt war Olympia. Als klar wurde, dass Siebener olympisch wird, haben viele Nationen angefangen, ihre Programme zu professionalisieren. In Deutschland kam das um 2012 herum in Gang. Mein erstes Siebener-Turnier war 2003, da war ich auch im Fünfzehner-Nationalteam aktiv. Ich habe das alles sehr direkt miterlebt.


Wann kam für dich der Punkt, an dem du dich ganz auf das Nationalteam konzentriert hast?


2014 bin ich aus dem Ausland zurück nach Deutschland gekommen, da war klar: Ich will mich voll auf die Nationalmannschaften konzentrieren. Bundesliga war kein Thema mehr. 2015 kam der Schritt zur Bundeswehr als Sportsoldat, um professioneller arbeiten zu können. Ich habe das komplett durchgezogen – bis der Körper irgendwann nicht mehr mitgemacht hat.


Wie sah dein Übergang vom Spieler zum Trainer aus?


2017 war dann dieser Punkt. Ich war gleichzeitig noch Spieler und habe beide Nationalteams mittrainiert – das war ziemlich intensiv. 2018 habe ich noch einmal für die Fünfzehner gespielt, mein letztes Spiel als Kapitän in Offenbach, mit meinem Sohn an der Hand. Danach war klar: Jetzt ist der Fokus voll auf dem Trainersein.


Was war für dich die größte Herausforderung in dieser neuen Rolle?


Der Rollenwechsel. Ich war ja nicht einfach irgendein Trainer, sondern kam aus dem direkten Mannschaftskreis. Die Jungs waren Anfang 20, ich Anfang 30. Man kennt sich gut, und plötzlich muss man Entscheidungen treffen, wie z. B. wer mit nach Hongkong fährt – das war in dem Fall Carlos Soteras Merz, ein sehr guter Freund. Ihm damals sagen zu müssen, dass er nicht dabei ist, war extrem schwer. Da fragt man sich schon: Können wir uns danach noch in die Augen schauen? Zum Glück konnten wir das. Heute habe ich diesen Abstand. Die meisten Spieler kenne ich nicht mehr aus der aktiven Zeit, das macht es einfacher.


Was begeistert dich heute am Siebener-Rugby?


Es ist schneller, klarer, intensiver – man muss alles können, und das auch noch schnell. Für junge Spieler ist das Spiel zugänglicher. Die Atmosphäre bei Turnieren ist einzigartig: alle Teams wohnen zusammen, essen zusammen, spielen gegeneinander. Es ist wie ein Wanderzirkus – familiär und gleichzeitig hochprofessionell.


Wie würdest du deinen eigenen Stil als Trainer beschreiben?


Ich arbeite über Vertrauen und Empathie. Ich bin keiner, der rumschreit. Natürlich erwarte ich viel – aber ich will, dass die Spieler das auch verstehen, nicht nur ausführen. Das Trainerteam, die Atmosphäre, das Miteinander – das sind für mich ganz zentrale Dinge. Klar geht’s um Erfolg. Aber man sollte sich dabei nicht zu wichtig nehmen.



Welche Rolle spielt dein eigener sportlicher Hintergrund heute in deiner Arbeit?


Ich war immer ein sehr analytischer Spieler. Ich wollte wissen, wer mein Gegenspieler ist, was er kann, was nicht. Das hilft mir heute bei der Vorbereitung. Was ich lernen musste, war, das Spiel nicht mehr aus der Spielerperspektive zu erleben, sondern es als Trainer von außen zu lesen und entsprechend zu agieren.


Du hast selbst im Ausland gespielt – wie prägt dich das heute als Trainer?


Sehr stark. Ich weiß, was unsere Spieler noch brauchen – technisch, taktisch, mental. In Deutschland fehlt oft Spielverständnis, das andere Länder in jungen Jahren mitgeben. Und deshalb bin ich ein großer Fan davon, Spieler für einige Monate ins Ausland zu schicken – nach Südafrika zum Beispiel. Nicht nur wegen Rugby, sondern auch für die persönliche Entwicklung.


Wie hat sich das deutsche Siebener-Programm seit deiner aktiven Zeit verändert?


Wir hatten eine unglaublich starke Generation – mit Spielern wie Heimpel, Merz, Buckmann, Fromm. Spieler, die individuell und als Team auf einem sehr hohen Niveau agiert haben. Wir waren 2018 und 2019 ganz nah dran, besonders 2018, als wir in der Nachspielzeit gegen Japan verloren haben. Im Jahr darauf war es Irland, das sich durchgesetzt hat – und die haben sich dann ja auch nachhaltig in der Weltspitze etabliert. Das war bitter, aber es zeigte auch, dass wir auf Augenhöhe waren.


Dann kam Corona, und das hat uns wirklich aus dem Takt gebracht. 2020 fiel die Qualifikation komplett aus, im Jahr darauf gab es keine Turniere, keine internationale Plattform. Für diese Generation, die damals zwischen 26 und 28 Jahre alt war – also im perfekten Alter –, war das verheerend. Sie hatten ihren sportlichen Höhepunkt, aber es gab keine Bühne, um ihn zu zeigen. Und dann wurde die World Series auch noch auf 12 Teams reduziert. Das hat die Tür nach oben fast zugeschlagen. Aus dieser Phase sind wir schwer wieder rausgekommen.



Was ist danach passiert?


2022 haben wir nach der WM einen Umbruch eingeleitet. Viele Spieler haben aufgehört. Jetzt haben wir ein extrem junges Team, im Schnitt 23 Jahre alt – aber mit viel Erfahrung und großem Potenzial. Wir sind heute besser aufgestellt als damals – nur mit einem viel dünneren Kader.


Was genau fehlt aktuell, um den letzten Schritt zu gehen?


Konkurrenz. Wenn du weißt, du spielst eh – auch an einem schlechten Tag – fehlt der letzte Push. In Ligen wie in Frankreich war klar: Wenn du nicht performst, sitzt du auf der Bank. Diese Härte fehlt bei uns. Wir haben aktuell etwa 14 Spieler auf Topniveau – das ist zu wenig.


Und strukturell – wo liegen die Baustellen?


Wir haben zwölf Sportsoldaten, die gut bezahlt sind. Der Rest bekommt Sporthilfe – aber davon kann man nicht leben. Drei bis fünf weitere Profi-Verträge würden uns einen großen Schritt weiterbringen. Ansonsten sind wir solide aufgestellt: zwei Trainer, ein Analyst, ein Physio, ein Athletiktrainer. Wir trainieren professionell – täglich, blockweise. Das funktioniert gut.


Wie wichtig ist mentale Stärke in eurer Arbeit?


Sehr wichtig. Wir arbeiten seit mehreren Jahren mit der Sportpsychologin Hanna Granz. Ich denke, das ist sehr individuell, das Thema. Es gibt Leute, die machen sich überhaupt keine Gedanken, die machen 10 Fehler und danach geht's trotzdem noch 120 Prozent weiter. Und es gibt halt die, die machen einen Fehler und graben sich dann ein Loch und kommen nicht mehr raus. Ich glaube, diese Generation geht auch viel offener mit diesem Thema um als vielleicht noch meine Generation. Und dementsprechend, glaube ich, sind die eigentlich ganz gut vorbereitet. Die haben jetzt mit der Hannah hier am Olympiastützpunkt regelmäßig gearbeitet. Die haben da einen ganz anderen Bezug zu.


Wie gehst du selbst mit Druck um – gerade vor großen Turnieren?


Ich bin weg davon, mich verrückt zu machen. Die Arbeit passiert vorher – im Training. Wenn wir alles gegeben haben, gehen wir mit Selbstvertrauen ins Turnier. Klar, der Ausgang hängt oft an Kleinigkeiten – aber man muss akzeptieren, was man nicht kontrollieren kann.



Was ist deine Motivation, Tag für Tag weiterzumachen?


Die Vision: World Series – und Olympia. Das war immer ein Ziel. Gerade weil sich international vieles verschiebt, sehe ich Chancen. Spanien ist ein gutes Beispiel: mit Kontinuität nach oben gearbeitet. Ich glaube, wir können das auch schaffen.


Wenn du dir etwas wünschen könntest – wo steht das Team in fünf Jahren?


In der World Series. Olympia ist dann die logische Folge. Ohne regelmäßige Top-Wettbewerbe ist es schwer, auf Weltniveau mitzugehen. Diese zehn Turniere im Jahr – die brauchst du.


Gibt es Rituale im Team vor Turnieren?


Nicht viele. Die Jungs nehmen „Wolfi“ mit – ein kleines Maskottchen. Für mich persönlich gab es nie ein festes Ritual. Ich war in vielen Rollen – Cheftrainer, Co-Trainer, Interim. Da war nie Platz für etwas Eigenes.


Was war für dich persönlich das Größte, was dir Rugby gegeben hat?


Ganz klar: die Freundschaften. Und meine Familie – ich habe meine Frau in Frankreich kennengelernt. Aber vor allem: Ich kann auf jeden Kontinent reisen und kenne jemanden. Das ist unbezahlbar.



Zum Abschluss: Was rätst du jungen Spielern, die in die Nationalmannschaft wollen?


Arbeiten. Leiden. Verzichten. Talent reicht nicht. Ich glaube, es kann unheimlich viel Spaß machen, aber es ist auch sehr viel Leiden dabei. Und das muss man gewillt sein mitzumachen, denn es ist nicht für jedermann. Das habe ich über die Jahre gesehen. Wir hatten viele sehr gute Spieler, die aber vom Mindset einfach nicht drauf waren. Da gibt es andere, die haben weniger Talent gehabt und haben sich durchgesetzt, einfach weil sie vom Mindset besser waren. Man muss auf viel verzichten, man ist viel weg von zu Hause. Die Jungs sind unheimlich viel unterwegs, trainieren viel, müssen weg mit ihren Freunden. Immer wenn die anderen im Urlaub sind, sind sie im Training. Das sind viele Sachen, die muss man wollen und dann kann man auch viel erreichen.


Vielen Dank, Clemens, für das offene und ausführliche Gespräch.



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